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06.06.2023 | Artikel

Keine Kompromisse auf Kosten des Flüchtlingsschutzes!

Von: Kitty Thiel

 

Die Bundesregierung muss ihrer humanitären Verantwortung gerecht werden. 

Europaweit arbeiten politische und gesellschaftliche Strömungen auf die weitgehende Abschaffung des Flüchtlingsschutzes hin. Sie stellen die Allgemeingültigkeit von Menschenrechten, rechtsstaatlichen Grundsätzen und europäischen Werten infrage. Gleichzeitig beobachten wir einen massiven Anstieg und die billigende Inkaufnahme von gewaltsamen und menschenunwürdigen Handlungen gegenüber Schutzsuchenden, insbesondere an den Außengrenzen der Europäischen Union. Verstöße gegen geltendes Recht werden teils gar nicht mehr oder nur unzureichend verfolgt.

Im Vorfeld des kommenden Treffens der EU-Innenminister*innen am 8. Juni 2023 appellieren wir zusammen mit über 60 Organisationen der Zivilgesellschaft, Menschenrechts- und Flüchtlingsschutzorganisationen an die Bundesregierung, ihrer humanitären Verantwortung gerecht zu werden und ihren eigenen Koalitionsvertrag ernst zu nehmen:

1. Für menschenwürdige und faire Asylverfahren: Keine verpflichtenden Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen!

2. Für Flüchtlingsschutz in der Europäischen Union: Keine Absenkung der Anforderungen an “sichere Drittstaaten”!

3. Für echte Solidarität in der Flüchtlingsaufnahme: Keine Weiterführung des gescheiterten Dublin-Systems!

Durch die beabsichtigte Zustimmung der Regierung zu verpflichtenden Grenzverfahren ist zu erwarten, dass Standards bei der Prüfung von Schutzgesuchen in der EU so stark abgesenkt werden, dass keine fairen Verfahren mehr zu erwarten sind – zumal diese in Kombination mit der Anwendung des Konzepts der “Fiktion der Nicht-Einreise" absehbar unter Haft oder haftähnlichen Bedingungen erfolgen werden. Unterstützt die Ampel-Koalition die Absenkung der Anforderungen an sogenannte „sichere Drittstaaten”, bricht sie ihr Versprechen, jedes Asylgesuch inhaltlich zu prüfen. Asylanträge könnten so pauschal als unzulässig abgelehnt und Schutzsuchende ohne inhaltliche Prüfung ihres Schutzbegehrens in einen Drittstaat abgeschoben werden. Das bedeutet einen Rückzug aus dem Flüchtlingsschutz in der Europäischen Union, vergleichbar mit dem deutschen Asylkompromiss vor dreißig Jahren.

Die aktuellen Reformvorschläge rütteln nicht nur an den Grundfesten des Rechtsstaates, sondern werden auch bereits existierende Probleme des europäischen Asylsystems noch verschärfen. Die Verantwortung für die Durchführung von Asylverfahren bliebe weitgehend bei den Außengrenzstaaten, was schon jetzt zu ihrer Überlastung und der Nichtanwendung von bestehenden Regelungen, zu starken Verzögerungen beim Zugang zum Schutz sowie zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen führt. Lediglich geringfügige Veränderungen an einem dysfunktionalen System können daran nichts ändern. Stattdessen sollte lieber durch Deutschland mit Nachdruck an einer solidarischen Aufnahme von Ankommenden in der EU gearbeitet werden, welche die Rechte und Bedürfnisse der Schutzsuchenden stärker in den Mittelpunkt stellt.

Die Verschärfungen im europäischen Asylrecht betreffen auch und insbesondere Kinder. Denn etwa ein Drittel der Asylantragstellenden in der EU ist minderjährig. Die Reformvorschläge könnten somit nicht nur die Abkehr vom Flüchtlingsschutz, sondern auch die Abkehr von allgemeingültigen Kinderrechten in der EU bedeuten. Maßgebliche, durch Unions- und Völkerrecht gedeckte Verfahrensgarantien fielen weg, bspw. bei der Alterseinschätzung. Auch das kinderrechtliche Verbot von Haft oder haftähnlicher Unterbringung würde verletzt. Ohne angemessene Möglichkeiten, rechtlich gegen fehlerhafte Entscheidungen vorzugehen, können die Rechte von Kindern zudem nicht geschützt, ihr Wohl nicht gewährleistet werden.

Daher appelliert der AWO Bundesverband e.V. zusammen mit 46 Organisationen der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsorganisationen, die sich insbesondere für Kinderrechte einsetzten an die Bundesregierung keine Kompromisse einzugehen, die den Schutz von geflüchteten Kindern gefährden.

Keine Kompromisse auf Kosten der Rechte und des Wohls geflüchteter Kinder bei der Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems!

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