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19.10.2023 | Artikel

Unterhaltsrecht im Kontext von Partnerschaftsgewalt

Von: Christiane Völz

 

Kritische Anmerkungen zu den Eckpunkten einer Reform des Unterhaltsrechts aus der Perspektive geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen.

Am 25.08.2023 hat das Bundesministerium für Justiz (BMJ) Eckpunkte für eine Reform des Unterhaltsrechts vorgelegt. Der AWO Bundesverband bringt dazu hier die Perspektive aus der Gewaltschutzarbeit mit Frauen, die durch Partnerschaftsgewalt betroffen waren bzw. sind, ein.

Aus Sicht der AWO müssen die Eckpunkte in einen größeren Zusammenhang mit dem Sorge- und Umgangsrecht gestellt werden, um insbesondere die Verquickung im Kontext geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen im sozialen Nahraum beschreiben zu können. Auch muss die Perspektive von Frauen stärker in die Debatte eingebracht werden, da nach wie vor Frauen den überwiegenden Anteil an Sorge- und Betreuungsarbeit mit Kindern leisten. Der Anteil von Müttern bei Alleinerziehenden liegt bei 85 %[1].

Das Ziel der Reform des Unterhaltsrechts, eine am Kindeswohl orientierte partnerschaftliche Betreuung minderjähriger Kinder durch das Unterhaltsrecht zu fördern, ist in Fällen von häuslicher Gewalt gegen Frauen[2] kritisch zu bewerten. In Fällen von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen die Frau durch den Ex-Partner während der Partnerschaft sowie auch nach Beendigung derselben kann in der Regel nicht von einer „partnerschaftlichen Betreuung“ gemeinsamer Kinder ausgegangen werden. Es ist davon auszugehen, dass Kinder immer mitbetroffene von Partnerschaftsgewalt[3] sind und mit Blick auf das Kindeswohl in Fällen häuslicher Gewalt grundsätzlich der Umgang bzw. Betreuungszeiten durch die gewaltausübende Person geprüft und in Frage gestellt werden müssen. So kann auch das durch das BMJ favorisierte symmetrische Wechselmodell in diesem Kontext überhaupt keine Option sein. Der Deutsche Verein[4] hat sich eindeutig positioniert, dass eine partnerschaftliche Elternschaft in Fällen von Partnerschaftsgewalt stark eingeschränkt oder überhaupt nicht möglich ist. Auch das Bemühen um eine kooperative Elternschaft muss in Gewaltkonstellationen hinter dem Gewaltschutz vollumfänglich zurücktreten. Eine gesetzliche Regelung dazu fehlt bislang.

Die AWO fordert entschieden, dass die Anforderungen aus der Istanbul Konvention gemäß Artikel 31 Sorgerecht, Besuchsrecht und Sicherheit durch entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen umgehend im Sorge- und Umgangsrecht umgesetzt werden. Die Konvention fordert, dass bei Sorge- und Umgangsrechtsentscheidungen Vorfälle von häuslicher Gewalt berücksichtigt werden. Die Sicherheit der Opfer von Partnerschaftsgewalt und deren Kinder darf nicht durch die Ausübung eines gemeinsamen Sorgerechts bzw. durch Umgangsrechte gefährdet werden[5]. Leider stellen auch die familiengerichtlichen Verfahren nach wie vor eine große Sicherheitslücke für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder dar. Das geltende Recht in Deutschland sieht bislang keine ausdrückliche Verpflichtung vor, diese Gewalttaten bei der Festlegung von Sorge- und Umgang zu berücksichtigen. Daher müssen Reformen im Kontext des Kindschaftsrechts immer darauf abzielen, mehr Sicherheit zu schaffen. Das Prinzip Gewaltschutz vor Umgangsrecht muss endlich vorrangig gesetzlich umgesetzt werden.

In der Folge hätte dies entsprechende Auswirkungen auf das Unterhaltsrecht und damit auf die Eindeutigkeit und Berechnung der Zahlung des Barunterhalts für das Kind/die Kinder sowie auf die Unterhaltsleistung für die Frau (Betreuungsunterhalt) durch den gewaltausübenden Ex-Partner. Langwierige und schwierige Verfahren wie sie für viele Frauen alltägliche Erfahrung sind, in denen gewaltbetroffene Frauen Unterhaltsrechte und -zahlungen einfordern, könnten abgewendet werden, wenn bereits beim Sorge- und Umgangsrecht der Gewaltschutz berücksichtigt würde. Hilfreich wäre hier für gewaltbetroffene Frauen die verlässliche staatliche Unterstützung zur Wahrnehmung der Unterhaltsrechte des Kindes und ihrer eigenen Rechte, denn in (hoch-)strittigen Fällen ist die Unterhaltszahlung immer ein Machtkampf.

Gewaltbetroffene Frauen müssen sich oft über Jahre hinweg immer wieder mit dem gewaltausübenden Ex-Partner auseinandersetzen. Aus finanziellen Gründen können sich viele keinen Rechtsbeistand leisten. Die Ausübung von Gewalt gegenüber Frauen setzt sich insbesondere im Kontext Sorge- und Unterhaltsstreitigkeiten fort. Coercive control, die übermäßig oder zwanghafte Kontrolle der (Ex-) Partnerin durch den Gewaltausübenden, ist ein zentraler Bestandteil von geschlechtsspezifischer Gewalt und äußert sich auch nach Beendigung der Beziehung z. B. über die Kontrolle von Finanzen und Instrumentalisierung von Kindern gegen die Mutter. Im Lagebild Häusliche Gewalt des BKA zum Berichtsjahr 2022[6] werden Tatverdächtige bei Straftaten nach § 170 StGB (Verletzung der Unterhaltspflicht) erfasst. § 170 StBG dient dem Schutz der Unterhaltsberechtigten vor einer Gefährdung ihres materiellen Lebensbedarfs. Die Sicherung des materiellen Lebensbedarfs ist ein existentielles Recht. Unterlassene Unterhaltszahlungen sind wirtschaftliche Gewalt. Gerade im Kontext häuslicher Gewalt gegen Frauen befeuern Unterhaltsstreitigkeiten die Gewaltspirale. Aus der Beratungspraxis für gewaltbetroffene Frauen wird immer wieder berichtet, dass Väter in der Regel gar keinen Unterhalt zahlen. Regelmäßig werden daher Unterhaltsvorschussleistungen beantragt. Besonders problematisch ist es auch in den Fällen, in denen mal gezahlt und dann wieder nicht gezahlt wird.

Nach den vorgelegten Reformvorschlägen für das Unterhaltsrecht, soll die Berechnung der Barunterhaltspflicht im asymmetrischen Wechselmodell stärker an tatsächliche Betreuungszeiten geknüpft werden. Für Frauen, die sich aus Gewaltbeziehungen gelöst haben und die überwiegende Kinderbetreuung und Sorgearbeit leisten, bedeutet[7] dies ein erhöhtes Armutsrisiko, da weniger Unterhalt für das Kind gezahlt werden soll, wenn der Betreuungsanteil des barunterhaltspflichtigen Elternteils auch nur minimal steigt. Dieser Ansatz muss kritisch bewertet werden. Im Alltag erfolgt die zuverlässige Betreuung trotz verabredeter Zeiten häufig nicht. Bei unzuverlässigen barunterhaltspflichtigen Elternteilen führt dies immer wieder zu zeitlichen und psychischen Belastungen für Frauen und Kinder. In den Eckpunkten gibt es hierzu keinen Vorschlag, wie diese Situation künftig verbessert werden kann. Frauen brauchen zuverlässige Betreuungszeiten, um selbst regelmäßig einer Ausbildung und/oder Erwerbsarbeit nachgehen zu können. Grundsätzlich ist die Ausübung von Sorge- und auskömmlicher Erwerbsarbeit für Alleinerziehende kaum zu stemmen; sie brauchen hier Entlastung. Frauenberatungsstellen berichten, dass gewaltausübende Männer Umgang mit ihren Kindern haben wollen, um auch nach der Trennung Macht und Kontrolle über die Frau und die Familie ausüben zu können. Diese Praxis wird durch das Gesetz weiter befördert und Männer erhalten noch einen finanziellen Anreiz für das Umgangsrecht, das gleichzeitig die Sicherheit der gewaltbetroffenen Frauen und ihrer Kinder gefährdet.

Mit Blick auf die geplante Regelung des notwendigen Selbstbehalts für den barunterhaltspflichten Elternteil, der die Wohnkosten künftig stärker berücksichtigen und somit bei teureren Mieten höher ausfallen soll, ist kritisch anzumerken, dass auch für den überwiegend betreuenden Elternteil teure Mieten starke finanzielle Belastungen bedeuten. Darüber hinaus wird aus Frauenberatungsstellen berichtet, dass nach Trennungen durch verschiedene Kürzungsfaktoren (Wegpauschalen, Arbeitskleidung, Weiterbildungskosten u.a.) bewusst das Einkommen durch den unterhaltspflichtigen Elternteil „runter gerechnet“ wird und sich somit – nicht zuletzt nach Abzug des Selbstbehalts – die Höhe des Barunterhalts erheblich reduziert. Hier kann in vielen Fällen nicht davon ausgegangen werden, dass überhaupt annäherungsweise das Barunterhaltsminimum erreicht wird. Dies ist eine Benachteiligung der Kinder, denn der tatsächliche Bedarf des Kindes wird nicht gedeckt. Auch für den betreuenden Elternteil bedeutet dies in vielen Fällen automatisch eine Armutsgefährdung, da sich der Betreuungsunterhalt reduziert bzw. entfällt.

Der Reformvorschlag zum Unterhaltsrecht muss in einen größeren Kindschaftsrechtskontext und den notwendigen Reformen dazu gesetzt werden. Insbesondere die Anforderungen aus der Istanbul-Konvention müssen endlich gesetzlich geregelt werden. Hierzu liegt bislang kein Vorschlag seitens des BMJ auf dem Tisch.

 

 

 

[1] Statistisches Bundesamt Pressemitteilung Nr. 20 vom 16.05.2023: 15 % der Alleinerziehenden mit Kindern unter 18 Jahren sind Väter. 15 % der Alleinerziehenden mit Kindern unter 18 Jahren sind Väter - Statistisches Bundesamt (destatis.de) (abgerufen: 22.09.2023)

[2] Gemäß dem Lagebild Häusliche Gewalt zum Berichtsjahr 2022 des Bundeskriminalamts, das lediglich dass Hellfeld erfasst, wurden 157.550 Fälle von Gewalt in Partnerschaften erfasst; davon waren in mehr als 80 % der Fälle Frauen die Opfer.

[3] Henschel, Angelika 2019: Frauenhauskinder und ihr Weg ins Leben. Budrich Verlag.

[4] Deutscher Verein 2022: Empfehlungen des Deutschen Vereins für eine Reform des Familien- und Familienverfahrensrechts unter Berücksichtigung von häuslicher Gewalt (DV 16/21).

[5] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2022: GREVIO´s (Basis) Evaluierungsbericht über gesetzliche und weitere Maßnahmen zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Deutschland.

[6] Bundeskriminalamt Wiesbaden Juli 2023: Häusliche Gewalt. Lagebild zum Berichtsjahr 2022.

[7] Nach wie vor betreuen überwiegend Frauen die minderjährigen Kinder. Väter arbeiten nach wie vor meist in Vollzeit, Mütter in Teilzeit. (vgl. Statistisches Bundesamt Pressemitteilung Nr. 323 vom 16.08.2023 69 % der Mütter minderjähriger Kinder waren 2022 erwerbstätig - Statistisches Bundesamt (destatis.de) abgerufen: 22.09.2023).

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