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Von: Kitty Thiel
Ein Appell an die EU und ihre Mitgliedsstaaten
Der Wald im Grenzgebiet zwischen Polen und Belarus ist seit Anfang Juli letzten Jahres Schauplatz einer humanitären Katastrophe. Schutzsuchende aus Syrien, Irak und Afghanistan verharren Tage und Wochen in den frostkalten Wäldern ohne Wasser, Nahrung und Wärme. Unterkühlt, entkräftet oder verletzt wird ihnen das Recht auf Asyl in Europa verwehrt. Einige starben im polnisch-belarussischen Grenzgebiet beim Versuch in die EU zu gelangen.
Im September 2021 wurde eine hermetisch abgeriegelte Sperrzone entlang der 400 Kilometer langen Grenze eingerichtet. Sie reicht drei Kilometer ins Land hinein und darf von Journalist*innen oder Hilfsorganisationen nicht betreten werden. Leid, Tod und Menschenrechtsverletzungen verschwinden damit aus der öffentlichen Wahrnehmung und so auch aus dem öffentlichen Diskurs. Zwar wurde der Begriff „Pushback“ zum Unwort des Jahres 2021 gekürt, jedoch finden diese Zurückdrängungen, zumindest in Polen, abseits der Öffentlichkeit weiterhin ungebremst statt.
Wir betonen eindringlich, dass Menschen inmitten dieser Krise keine Sicherheitsbedrohung darstellen und von keiner der beiden Seiten als Waffe bezeichnet oder so behandelt werden sollten.
Zusammen mit zahlreichen europäischen Organisationen der Zivilgesellschaft, welche im Bereich Flucht, Migration, humanitären Hilfen und Menschenrechten tätig sind, wendet sich der AWO Bundesverband mit diesem Appell an die EU und ihre Mitgliedstaaten und drängt zu folgenden Maßnahmen:
- Zugang zu Asyl an den Grenzen sicherstellen
Nach EU- und internationalem Recht hat jede*r, der/die an den Grenzen Asyl sucht, unabhängig von der Art seiner/ihrer Ankunft, das Recht, einen Asylantrag zu stellen. Der Zugang zu Asyl in Polen, Litauen und Lettland sollte sowohl rechtlich als auch in der Praxis unverzüglich wiederhergestellt werden. Das bedeutet, dass alle Maßnahmen, die darauf abzielen, Menschen am Zugang zum EU-Gebiet und an der Stellung eines Asylantrags zu hindern, eingestellt werden müssen. Dies umfasst alle Maßnahmen, die Menschen daran hindern, das Gebiet der EU zu erreichen, sei es durch Anwendung von Gewalt oder Anweisungen an Grenzschutzbeamte, Push-Backs durchzuführen. Dazu gehört auch, dass der tatsächliche Zugang zum Verfahren durch geografische Beschränkungen der Asylantragstellung eingeschränkt und versucht wird, Ausnahmen vom Recht auf Asyl und dem Schutz vor Zurückweisung zu etablieren.
- Humanitären Zugang sicherstellen
Kurzfristig ist es von entscheidender Bedeutung, dass die betroffenen Staaten den humanitären Zugang zu den Menschen gewähren, damit humanitäre Organisationen sie erreichen und ihnen Unterstützung leisten können. Die Tatsache, dass EU-Mitgliedstaaten die Bereitstellung lebensrettender Hilfe für die zum Teil extrem gefährdeten Menschen verhindern, ist verurteilungswürdig und rücksichtslos. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass sich dies negativ auf den Zugang der humanitären Hilfe zu Geflüchteten außerhalb der EU auswirkt und die Rolle der EU als glaubwürdiger humanitärer Akteur untergräbt.