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Von: Dieter Eckert
Der Bund plant die gesetzliche Regelung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung. Vor diesem Hintergrund hat der AWO Bundesverband die bundesweite Kampagne "„Ganztagsbetreuung. Ganz schnell? Ganz gut?! #Guter Ganztag“ durchgeführt, deren Ergebnisse vorgestellt werden.
Als Vorwort
„Als AWO sagen wir grundsätzlich zum Rechtsanspruch: „Endlich“, den haben wir wirklich lange genug gefordert, wir freuen uns, dass er kommen soll.
Als AWO sagen wir aber auch „Halt, Moment mal“, denn in dem geplanten Hauruck-Verfahren wird eines auf der Strecke bleiben: Die Frage nach der Qualität der Betreuung. Es kann nicht sein, dass jetzt hastig ein Entwurf zusammengebaut wird. In dieser kurzen Zeit drohen die drängendsten Fragen vom Tisch zu fallen! Das wären zum Beispiel: Wie finden wir die geeigneten Fachkräfte? Wie gestalten wir Räume kindgerecht für eine Tagesbetreuung, die schon jetzt nicht geeignet sind? Wie binden wir alle Beteiligten ausreichend ein, um die Wünsche der Eltern und die Bedarfe der Kinder ausreichend berücksichtigen zu können? Wie stellen wir – und das ist uns als AWO besonders wichtig – Chancengleichheit her?“
(Wolfgang Stadler, Vorstandsvorsitzender AWO Bundesverband am 23.07.2020 zum Auftakt der AWO Kampagne #GuterGanztag)
Zur Ausgangslage
Die Bundesregierung plant die Einführung eines Rechtsanspruchs auf ganztägige Betreuung für alle Grundschulkinder ab 2025. Neben der rechtlichen Regelung im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) wird sie 3,5 Milliarden Euro in den Ausbau der Ganztagsbetreuung stecken: 1 Million neue Plätze sollen entstehen. Bis zum 1. September 2020 hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hierzu ihre Eckpunkte vorzulegen. Danach wird es ein verkürztes Beratungs-und Beteiligungsverfahren geben.
Der bislang in der Öffentlichkeit allgemein genutzte Begriff „Ganztagsbetreuung“ wurde im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zur „Errichtung des Sondervermögens „Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter“ (Ganztagsfinanzierungsgesetz – GaFG)“ konkretisiert in „ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote“ für Grundschulkinder. Diese neue und sozusagen regierungsamtlich bestätigte Bezeichnung stellt den Begriff der Bildung an die erste Stelle. In diesem Sinne nutzt die Arbeiterwohlfahrt und viele weitere Verbände den Begriff „guter Ganztag“ synonym für ganztägige, qualitativ wertvolle Angebote der Bildung, Betreuung und Erziehung für Grundschulkinder.
Ein Bündnis aus Arbeiterwohlfahrt und weiteren Verbänden startete am 23. Juli 2020 die AWO Kampagne „Ganztagsbetreuung. Ganz schnell? Ganz gut?! #Guter Ganztag“ mit einer „Gemeinsamen Erklärung“. Ziel ist die Sensibilisierung weiter Kreise der (Fach-)Öffentlichkeit für die Bedeutung eines guten Ganztags für die nachwachsende Generation und damit für unsere Gesellschaft. Hiermit verbunden ist die Absicht auf eine angemessene Berücksichtigung von Qualitätsfragen in der Aushandlung des Regelungskatalogs in der Arbeitsgruppe zwischen Bund und Ländern hinzuwirken. Noch bis Anfang September werden hier wichtige Weichen für die Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbildung und -betreuung gestellt. Allerdings gibt es an dem Eilverfahren Kritik von mehreren Verbänden. Diese befürchten unter anderem, dass an den Bedarfen von Kindern und Eltern vorbeigeplant wird und zu sehr Fragen der investiven Verteilung der zur Verfügung stehenden 3,5 Mrd. Euro im Mittelpunkt stehen. Sie sehen die Regelungsbereitschaft von Qualitätsfragen und möglicher Mindeststandards ganztägiger Bildung und Betreuung gefährdet.
Vor diesem Hintergrund hat der AWO Bundesverband seine Kampagne gestartet und in sechs Themenwochen untergliedert. Unter dem Blickwinkel „Was bedeutet ein guter Ganztag für Sie?“ wurden Statements von Verbandsvertreter*innen eingeholt, Eltern über Social Media gezielt zu ihrer Meinung befragt, Pressemitteilungen herausgegeben, fachliche Expertisen von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Verbänden und Alltagspraxis eingeholt und Beispiele guten Ganztags vorgestellt.
Für Grundschulkinder, die lange Zeit in Bildungs-und Betreuungs-einrichtungen verbringen (können), hat der Staat eine besondere Verantwortung für die qualitative Ausgestaltung förderlicher Rahmenbedingungen.
Die vielfältigen Anregungen und Beispiele lassen sich verdichten auf durchgängig beschriebene sechs zentrale inhaltliche Qualitätsaspekte zum guten Ganztag, die ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter spätestens bis zum Inkrafttreten des Ganztagsförderungsgesetzes ab 2025 erfüllen müssen. Denn für Grundschulkinder, die lange Zeit in Bildungs-und Betreuungseinrichtungen verbringen (können), hat der Staat eine besondere Verantwortung für die qualitative Ausgestaltung förderlicher Rahmenbedingungen für eine gute Entwicklung und Förderung ihrer Persönlichkeit. Dies kommt einer verbesserten Bildungs- und Chancengerechtigkeit gerade für Grundschulkinder aus bildungsfernen Elternhäusern oder aus Familien, die von Armut bedroht oder betroffen sind, besonders zugute.
Die bundesweite AWO Kampagne „Ganztagsbetreuung. Ganz schnell? Ganz gut?!“ hat sechs zentrale Qualitätsdimensionen für einen guten Ganztag identifiziert:
(1) Zentraler Maßstab aller Regelungen zum guten Ganztag ist das Wohlbe-
finden des Kindes
Kindern ist eine starke Stimme in der Gestaltung eines guten Ganztags zu geben. Große Kinder – keine Kita-Kinder mehr und noch keine Jugendlichen - haben ihre ganz speziellen Interessen und Bedürfnisse, die mit einer guten und gesunden körperlichen, emotionalen, sozialen und geistigen Entwicklung zusammenhängen. Diese sind zu erkennen, ernst zu nehmen und in die Konzeption der Angebote einfließen zu lassen. Dafür brauchen Kinder vielfältige Gelegenheiten, Platz und Zeit. Ihre alterstypischen Lebensthemen und entwicklungsrelevanten Bedürfnisse sind Leitlinien für einen „guten Ganztag“.
Kindern ist eine starke Stimme in der Gestaltung eines guten Ganztags zu geben.
Was muss beim Ausbau von ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangeboten für Grundschulkinder aus der Perspektive der Kinder berücksichtigt werden?
- Inhalt, Ausstattung und Umfang der Angebote berücksichtigen die entwicklungsrelevanten Lebensbedürfnisse der Grundschulkinder
- Die gesetzlichen Regelungen der UN-Kinderrechtskonvention setzen rechtlich verbindliche und ethisch gehaltvolle Ziele und begründen Umsetzungspflichten, die sich auf die Ausgestaltung eines guten Ganztags förderlich auswirken sollten.
- Lehrer*innen und pädagogische Mitarbeiter*innen sind sich einig in dem Anliegen, bestmögliche Bedingungen zu schaffen, die jedes Kind braucht, um sich ganzheitlich zu bilden und zu entwickeln.
(2) Ein guter Ganztag lebt von der aktiven Beteiligung der Eltern
Der Beteiligung der Eltern wird in jeder Schule ein eigener Stellenwert zugeschrieben. Eltern sind Partner von Schule. Sie stehen in einer Bildungs- und Erziehungskooperation mit der Schule und verwirklichen den gemeinsamen Bildungs- und Erziehungsauftrag von Schule und Elternhaus.
Eltern sind ein wichtiger Teil des Schulalltags. Sie sollten bereits fester Bestandteil bei Planung und Ausgestaltung des Schulkonzepts sein. Die Arbeit mit Eltern in der Schule lässt sich an vielen Schulen optimieren. Hierfür ist eine gute Schulgemeinschaft eine wichtige Grundlage. Dies kennzeichnet ein demokratisches Grundverständnis. Gerade Ganztagsschulen bieten aufgrund des größeren Zeitfensters und ihrer Angebotsvielfalt gute Möglichkeiten, diesen klaren und gemeinsamen Bildungsauftrag zu leben und ihn gelingen zu lassen.
Der gute Ganztag und dessen Rechtsanspruch sind gemeinsam partizipativ zu erarbeiten und zu gestalten. Hier sind immer die Unterschiedlichkeit, die Vielfalt einer jeden Familie und die verschiedenen Interessen der Eltern zu sehen und einzubeziehen. Hierdurch kommt es zu einem wertschätzenden Miteinander aller Beteiligten. Eltern sehen immer die Förderung der Chancen- und Bildungsgerechtigkeit ihres Kindes sowie dessen individuelle Förderung als vorrangig an.
Eltern sind Partner von Schule. Sie stehen in einer Bildungs- und Erziehungskooperation mit der Schule.
Was muss beim Ausbau von ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangeboten für Grundschulkinder aus der Perspektive der Eltern berücksichtigt werden?
- Eltern wünschen sich das Beste für ihr Kind. Jedes Kind soll nach seinen individuellen Stärken und Schwächen gefördert und unterstützt werden. Das Kind soll im Mittelpunkt der schulischen und außerschulischen Aktivitäten stehen.
- Eltern wünschen sich, dass ihr Kind in einem ganztägigen Bildungssetting angemessene und qualitativ förderliche Angebote erhält, die die Interessen der Kinder aufgreifen und ihre Lebenswelt berücksichtigen. Eine gute ganztägige Bildung und Betreuung stellt eine Vielfalt an Entwicklungspotenzialen zur Verfügung.
- Eltern wollen Flexibilität und Angebotsvielfalt – sie wollen entscheiden können, welche Angebote sie für ihr Kind wählen und in welchem zeitlichen Umfang sie diese nutzen.
- Eltern wünschen sich für die Betreuung ihrer Kinder eine gute Personalausstattung mit Fachkräften, die in einer tragfähigen Kooperation mit Lehrern und anderen in der Schule tätigen Berufsgruppen stehen. Diese brauchen gute Arbeitsbedingungen. Professionalität ist ein wichtiges Element für förderliche Angebote in einem guten Ganztag.
- Eltern sind in der Ausgestaltung der Ganztagsangebote als wichtige Akteure einzubeziehen. Eltern möchten in der Regel informiert und beteiligt werden, sich aktiv in die Bildungsaktivitäten ihrer Kinder einbringen können. Partizipation der Familien muss je nach Form des Bildungssettings ermöglicht werden. Eine partnerschaftliche Beteiligung durch die Schule schafft Vertrauen auf Seiten der Eltern. Vertrauensvolle Beziehungen sind förderlich für gelingende Bildungsaktivitäten der Kinder im guten Ganztag.
(3) Ein guter Ganztag braucht qualifiziertes Personal
Zur Gewährleistung eines lebenslagen-orientierten und ganzheitlichen Bildungsanspruchs müssen in guten Ganztagsschulen erzieherisch und sozialpädagogisch qualifizierte Mitarbeiter*innen arbeiten. Als Fachleute für die Bildungs- und Erziehungsarbeit, für die gezielte Förderung von Problemkindern, für die Wahrnehmung der unterschiedlichen Lebenswelten, für die Arbeit mit Eltern, mit Jugendämtern und anderen wichtigen Organisationen und Verbänden im Umfeld der Schule sind sie unentbehrlich für den guten Ganztag.
Durch den Rechtsanspruch werden mindestens 100 000 zusätzliche Fachkräfte in Angeboten der ganztägigen Bildung und Betreuung von Grundschulkindern benötigt.
Zur Gewährleistung eines lebenslagen-orientierten und ganzheitlichen Bildungsanspruchs müssen in guten Angeboten der Ganztagsbildung und -betreuung erzieherisch und sozialpädagogisch qualifizierte Mitarbeiter*innen arbeiten.
Was muss beim Ausbau von ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangeboten für Grundschulkinder für die Mitarbeiter*innen der Kinder- und Jugendhilfe berücksichtigt werden?
- Ein guter Ganztag braucht einschlägig qualifizierte Fachkräfte in ausreichendem Maße. Grundlage ist das Fachkräftegebot der Kinder- und Jugendhilfe mit einem angemessenen Personalschlüssel unter Berücksichtigung der tatsächlichen Fachkraft-Kind-Relation. Ein Qualitätsmaßstab, der für Horte bereits seit langem gewährleistet ist.
- Mitarbeiter*innen brauchen stabile und verlässliche Arbeitsbedingungen. Sie brauchen eine angemessene Vergütung und Anerkennung für die Arbeit, die sie jeden Tag leisten.
- Mitarbeiter*innen im Ganztag brauchen eine gute und qualitätsvolle Ausbildung und Ressourcen für ihre Fort- und Weiterbildung.
- Multiprofessionelle Teams im Ganztag müssen gleichberechtigt zusammenarbeiten.
- Angebote der Ganztagsbildung und -betreuung im Kontext von Schule erfolgen in der Gesamtverantwortung oder in Kooperation mit der Schulleitung und nach Möglichkeit mit einem gemeinsam abgestimmten pädagogischen Konzept, welches das unterrichtliche Angebot zu einem gemeinsamen Ganztagskonzept ergänzt.
- Der Beruf der sozialpädagogischen Fachkräfte / Erzieher*innen ist gesellschaftlich aufzuwerten. Neue Potenziale für die Berufswahl sind zu erschließen. Übergangsregelungen für neue oder andere nicht einschlägig qualifizierte Personen sind anzustreben.
- Arbeitgeber sind gefordert, Personalentwicklungskonzepte zu entwickeln und umzusetzen. Dies gilt auch für Personalbindungsmaßnahmen.
- Hochschulen müssen ihre Ausbildungscurricula und Studiengänge mit Themen der „ganztägigen Bildung, Erziehung und Betreuung“ bzw. „Entwicklungsrelevante Lebensbedürfnisse von großen Kindern“ gezielt ergänzen. Dies gilt für die erzieherischen/ sozialpädagogischen Studiengänge ebenso wie für die Lehrerausbildungsstätten.
(4) Ein guter Ganztag lebt von der Vielfalt und Qualität seiner Angebote
Kurz und knapp – ein guter Ganztag ist integriert, Kind orientiert, kooperativ und partizipativ! Diese hohen Anforderungen benötigen beste Rahmenbedingungen. Neben Personal, Geld und Räumlichkeiten spielen Qualität und Vielfalt der Angebote im Ganztag eine entscheidende Rolle. Denn: Die Individualität jedes Kindes und der Wunsch nach Bildungs- und Chancengerechtigkeit für alle Kinder erfordern ein ganzheitlich entwickeltes, integriertes und partizipativ erstelltes Schulkonzept. Dieses gründet auf einem umfassenden Bildungsverständnis, auf dauerhaft nutzbare und übertragbare Kompetenzen und orientiert sich am Wohlbefinden der Kinder. Die Bedarfe und Bedürfnisse der Familien müssen bei der Angebotsvielfalt berücksichtigt werden.
Gerade der Hort hat in einigen Bundesländern eine lange Tradition und stellt ein gut funktionierendes Betreuungsangebot dar. Die Kinder- und Jugendhilfe bringt hier ihre spezifischen Handlungsansätze, wie Freiwilligkeit, Partizipation und Lebensweltbezug, in den Lern- und Lebensraum Schule ein und trägt so zu einem guten Lern- und Erfahrungsarrangement bei.
Eine Betreuung von Schulkindern in der Kindertagespflege stellt ein weiteres Angebot für Familien dar, welches durch den Rechtsanspruch weiter gestärkt werden muss.
In Bezug auf nachhaltiges Lernen ist der erweiterte Zeitrahmen in der Ganztagsschule geeignet, um Gelegenheiten für situiertes und kooperatives Lernen zu schaffen, indem z. B. in Bildungs- und Betreuungsangeboten Themen aus dem Unterricht unter Einsatz vielfältiger Methoden aufgegriffen werden. Auch informelle Lerngelegenheiten und selbst zu strukturierende Zeitphasen fördern Lernbereitschaft und begünstigen interessengeleitete Beschäftigung mit selbstgewählten Inhalten. Diese erhöhen gleichzeitig die Lernbereitschaft und befördern das kindliche Wohlbefinden. Die Ganztagsschule bietet die Möglichkeit des Angebots vielfältiger formaler und informeller Lerngelegenheiten, die unterschiedliche Interessen, Präferenzen und Bedarfe der Kinder abdecken können. Somit können sie sich in verschiedenen Bereichen als kompetent erleben.
Die Individualität jedes Kindes und der Wunsch nach Bildungs- und Chancen-gerechtigkeit für alle Kinder erfordern ein ganzheitlich entwickeltes, integriertes und partizipativ erstelltes Schulkonzept.
Was muss beim Ausbau von ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangeboten für Grundschulkinder konzeptionell berücksichtigt werden?
- Ganztägige Angebote der Bildung, Betreuung und Erziehung stehen in einem sinnvollen Gesamtkonzept und werden gemeinsam von Schule und Jugendhilfe verantwortet
- Vielfalt, Auswahlfähigkeit und Qualität der Angebote bringen einen Mehrwert in den guten Ganztag
- Angebote gehen dann mit Wohlbefinden und hoher Motivation einher, wenn sie die Bedürfnisse nach Autonomie, Kompetenzerleben und sozialer Eingebundenheit ansprechen
- Partizipation und enge Kooperation mit Schülern, Eltern und Schule sind bestimmend für die Auswahl der Angebote
- Vielfalt bedeutet auch, dass der Ganztag zeitliche Freiräume beinhaltet, die Kinder selbstbestimmt und eigenverantwortlich füllen können
(5) Ein guter Ganztag beruht auf Kooperation und multiprofessioneller Teamarbeit
Neben den Lehrer*innen wirken in einem guten Ganztag unterschiedliche Professionen verschiedener Träger und Verbände mit. Für eine gelingende Zusammenarbeit sind ein gemeinsames Verständnis von Bildung, Betreuung und Erziehung als gleichwertige Bestandteile eines Gesamtkonzeptes wichtig. Sie zu erarbeiten und in gemeinsamer Verantwortung umzusetzen, ist eine besondere Herausforderung und zugleich eine wichtige Voraussetzung gelingender Kooperation. Unter den Bedingungen von Wissensgesellschaft, fehlenden Ressourcen und vorhandenem Bedeutungsgefälle zwischen Lehrer*innen und sozialpädagogischen Mitarbeiter*innen ist eine gute Kooperation hochgradig voraussetzungsvoll. Es gilt gemeinsam an den Voraussetzungen anzusetzen und den jeweils anderen in seinem Rollenverständnis, seinen Arbeitsweisen, seinen Kompetenzen, in seinen Stärken und Erfolgen zu verstehen. Nach wie vor gibt es in der Praxis von Schule noch eine große Lücke im gegenseitigen Verständnis der beschäftigten Mitarbeiter*innen-Gruppen. Ein vertieftes Verständnis voneinander ist der Grundstock für eine Kooperation auf Augenhöhe! Multiprofessionelle Teamarbeit lebt von der Vielfalt der verschiedenen Perspektiven, Meinungen, Methoden zu deren Erfolg jede Profession ihren eigenen Anteil beitragen kann.
Für eine gelingende Zusammenarbeit sind ein gemeinsames Verständnis von Bildung, Betreuung und Erziehung als gleichwertige Bestandteile eines Gesamtkonzeptes wichtig.
Was muss beim Ausbau von ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangeboten für Grundschulkinder für die Kooperation und multiprofessionelle Zusammenarbeit berücksichtigt werden?
- Die Arbeit in multiprofessionellen Teams aus Lehrer*innen und außerschulischen Mitarbeiter*innen lässt sich stark befördern durch realistische Erfahrungen, tatsächliche Erfolge und die Erfahrung konkreter Ansatzpunkte im gemeinsamen Tun.
- Angebote im schulischen Ganztag sind gemeinsam zu planen, zu koordinieren und in beiderseitiger Verantwortung umzusetzen.
- Verlässliche Kommunikationsstrukturen sind einzurichten und verbindlich wahrzunehmen.
- Träger der Jugendhilfe sollten ihre Leistungen im non-formalen und informellen Bildungsbereich offensiv gegenüber Schule vertreten und aktiv auf ein gemeinsames Bildungsverständnis mit Schule hinwirken.
- Mit Blick auf kommunale Bildungslandschaften sind Kommune, Sozialraum, Schule und alle Kooperationspartner im Ganztag zusammen zu bringen zu einer gemeinsamen Interessensgemeinschaft zum Aufbau funktionierender Handlungssysteme als Bestandteil kommunaler Bildungslandschaften. Dabei sind die Bedürfnisse und Interessen der Kinder und ihrer Eltern gleichberechtigt und verbindlich zu berücksichtigen.
(6) Ein guter Ganztag findet in Räumlichkeiten statt, die das Wohlbefinden der Kinder fördern und zum Leben und Lernen anregen
Vielfältige ganztägige Bildungsangebote brauchen geeignete Räumlichkeiten, in denen sie ihren pädagogischen Wert entfalten können. Schulräume sollten aber nicht nur als bauliche Notwendigkeit angesehen werden, vielmehr sind sie als Teil der sozialen Lebenswelt der Kinder zu verstehen. Folgerichtig müssen Räume gerade durch Qualität überzeugen und als echte Lernumgebung angesehen werden. Neue Räumlichkeiten sind zeitgemäß, modern und ansprechend zu planen. Durch die architektonischen und strukturellen Gegebenheiten von Schule wird bestimmt, in welchem Umfang informelle Bildungs- und Aneignungsprozesse möglich werden. Auch die Umgebung, der soziale Nahraum, der Sozialraum, sind als Lern- und Erfahrungsräume anzusehen und einzubeziehen. Kinder im Grundschulalter brauchen entwicklungsbedingt Räume im sozialen Umfeld, die sie erkunden, erobern und bespielen können. Auch die Möglichkeit zum Rückzug, zur Ruhe finden, stellt ihre eigenen Anforderungen an die Raumplanung.
Schulräume sind als Teil der sozialen Lebens-welt der Kinder zu verstehen.
Was muss beim Ausbau von ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangeboten für Grundschulkinder bei der Raumkonzeption berücksichtigt werden?
- Es braucht geeignete Lern- und Unterrichtsräume in entsprechender Größe. Die Wissenschaft rechnet mit einem Platzbedarf in doppelter Klassenzimmerstärke.
- Kinder brauchen unterschiedlich nutzbare Räume, um ihr Entwicklungspotenzial wirksam zu entfalten. Dazu zählen sowohl Räume für Ruhe und Rückzug als auch für Bewegung und Aktivitäten (sowohl drinnen wie draußen).
- Neue Räume müssen einen dynamischen Wechsel zwischen den Lernformen ermöglichen bzw. diese unterstützen.
- Schulen müssen mit einer zeitgemäßen digitalen Grundausstattung versehen werden, damit die Kinder auch im Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung sachbezogene Kompetenzen erwerben können.
Was bedeuten die genannten Qualitätsdimensionen für die Ausarbeitung des Rechtsanspruchs auf ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote?
All diese unterschiedlichen Aspekte und Themenbereiche sind bei der Ausarbeitung der gesetzlichen Regelungen, Ausführungsbestimmungen und Erlasse als Qualitätsanforderungen zu berücksichtigen.
Ziel des Ganztagsförderungsgesetzes muss es sein, die Qualität von Bildung, Erziehung und Betreuung in der Grundschule bundesweit auf einem pädagogisch und gesellschaftlich anspruchsvollen Niveau zu sichern. Durch Herstellung eines Konsenses über qualitative Mindeststandards für Bildungs- und Betreuungsangebote für Grundschulkinder sind bundesweit gleichwertige qualitative Standards anzustreben.
Kurz und knapp – ein guter Ganztag ist integriert, Kind orientiert, kooperativ und partizipativ!
Die Regelung des Rechtsanspruchs muss im Blick behalten, dass Kinder nur deshalb unter-schiedliche Bildungschancen haben, weil sie in verschiedenen Bundesländern in Deutschland aufwachsen. Durch gute Ganztagsbildungs- und Betreuungsangebote für Grundschulkinder lässt sich ein Beitrag zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse von Kindern und zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf leisten.
Zum Schluss
„Es darf nicht hingenommen werden, dass die Qualität der Bildung und Betreuung davon abhängt, wo man wohnt. Die Unterschiede in den Bundesländern sind enorm, sowohl, was das bloße Vorhandensein von Ganztagsangeboten betrifft, als auch, ob diese Betreuung einem bestimmten Gesamtkonzept folgt. Alle Kinder und Familien haben verdient, dass man ihre Bedarfe, Wünsche und Lebensrealitäten berücksichtigt und Angebote zur Verfügung stellt, die pädagogisch ansprechend ausgestaltet sind. Die Corona-Pandemie hat deutlich gezeigt, welche Bedeutung den Bildungseinrichtungen zukommt. Die Ganztagsbetreuung muss also sowohl Bildung vermitteln, aber vor allem auch als Lebensraum für die Kinder angesehen werden, in dem sie sich ihren Interessen nach entfalten können, sozial agieren können und sich wohlfühlen.“
(Wolfgang Stadler, Vorstandsvorsitzender AWO Bundesverband am 25.08.2020)
Der Autor Dieter Eckert ist Referent für Jugendsozialarbeit, Jugendhilfe und Schule im AWO Bundesverband.
Der Autor dankt allen an der Kampagne beteiligten Autorinnen und Autoren, Ideengeber*innen sowie seinen Kolleg*innen im AWO Bundesverband Wolfgang Stadler für die Video-Statements, Dr. Judith Adamczyk für die fachliche Unterstützung und Jenni Rotter und ihrem Team für die begleitende Öffentlichkeitsarbeit/ Social Media Kampagne. Ohne diese selbstlose Unterstützung wäre ein solch umfangreiches Vorhaben und dies noch in der Sommerferienzeit nicht möglich gewesen.