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Zeit Verantwortung gemeinsam zu tragen
Nachdem Asyl und Migration in Europa jahrelang im Krisenmodus behandelt wurden und mit dem Reformpaket im Jahre 2016 keine Einigung erreicht werden konnte, schlug die Kommission vor einem Jahr einen neuen Pakt zu Asyl und Migration vor, der eine Chance bieten sollte die Richtung für die EU und ihre Mitgliedstaaten im Bereich Flucht und Asyl zu ändern. Ob dies mit dem Reformpaket gelingen kann ist fraglich, denn bereits jetzt bestehen ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vorschläge.
Der sog. New Pact on Migration and Asylum sieht eine Einführung einer Reihe neuer Verordnungen vor, welche die bestehende Richtlinien und Verordnungen ersetzen soll. Die hoch umstrittene Dublin – III Verordnung findet Einzug in die Asyl- und Migrationsmanagementverordnung mit unwesentlichen Veränderungen. Neu eingeführt werden sollen das EU-Außengrenzverfahren und ein Solidaritätsmechanismus in Krisenzeiten. Der Solidaritätsmechanismus sieht vor, einen Mitgliedstaat der sich in einer Krise befindet zu unterstützen, indem die anderen Mitgliedstaaten als Flüchtling Anerkannte aufnehmen oder den Mitgliedstaat in der Krise bei Rückführungen unterstützen.
Ob der New Pact allerdings die notwendige Veränderung hin zu einem solidarischen Europäischen Asylsystem bereithält, ist sehr fraglich. Besonders problematisch ist die erneute Verlagerung des größten Teils der Asylverfahren an die EU-Außengrenzen. Damit sind weiterhin die EU – Staaten mit einer Außengrenze in der Hauptverantwortung. Zudem werden die Mängel in der Dublin- III Verordnung nicht angegangen und dem Solidaritätsmechanismus fehlt es an einem verbindlichen Element. Die größten rechtlichen Veränderungen werden an den EU-Außengrenzen stattfinden. Daher werden in diesem Beitrag die Veränderungen beleuchtet, Gefahren aufgezeigt und Forderungen für die nächste Legislaturperiode aufgestellt.
Die Vorschläge des New Pact
- Screeningverfahren:
Aufgabe: Die Aufgabe des Screeningverfahren ist es, ein Verfahren festzulegen. Es dient der Identifizierung von Personen und dem Erkennen von Personen, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen können. Neben der Identifizierung werden Gesundheitskontrollen stattfinden und die biometrischen Daten erfasst. So ermittelte Informationen werden in Datenbanken angelegt.
Wo: Das Screeningverfahren soll hauptsächlich an den EU-Außengrenzen stattfinden. Wenn eine Person später um internationalen Schutz nachsucht und noch kein Screeningverfahren durchlaufen hat, soll dieses Verfahren in dem jeweiligen Mitgliedstaat erfolgen.
Wer: Das Screeningverfahren betrifft alle Personen, die unbefugt die EU-Außengrenze auf dem Land-, See- oder Luftweg überschritten haben und bei einer Grenzkontrolle internationalen Schutz beantragen. In das Screeningverfahren müssen auch alle Personen, die nach einer Such- und Rettungsaktion ausgeschifft werden, unabhängig davon, ob sie internationalen Schutz beantragt haben.
Dauer: Das Screeningverfahren soll innerhalb von fünf Tagen nach dem Aufgreifen abgeschlossen sein. In Ausnahmefällen kann die Dauer um weitere fünf Tage verlängert werden. Bei Personen die nach einer Such- und Rettungsaktion aufgegriffen werden, da soll die Dauer des Screeningverfahrens zwei Tage nicht überschreiten.
Rechtliche Folgen: Während des Screeningverfahrens gelten die Personen als nicht eingereist. Es sollen bereits relevante Informationen zum Asylverfahren mitgeteilt werden und besondere Schutzbedarfe erkannt werden. Insbesondere soll für die antragstellenden Personen ein Verfahren bestimmt werden. Die Verfahren sind das nationale Asylverfahren oder das Grenzverfahren. Antragsstellende Personen können auch umgesiedelt werden im Rahmen des Solidaritätsmechanismus. Gegen diese Entscheidung gibt es keine Rechtsmittel. Wird die Überprüfung nicht in der entsprechenden Zeit durchgeführt, wird die Person in ein Verfahren verwiesen. Sucht die Person nicht um internationalen Schutz nach, soll sie ins Rückführungsverfahren und die Einreise wird verweigert.
- Grenzverfahren:
Aufgabe: Der Zweck des Grenzverfahrens soll darin bestehen, an den Außengrenzen in kurzer Zeit zu beurteilen, ob Anträge unbegründet oder unzulässig sind, und Personen, die kein Bleiberecht haben, rasch zurückzuführen. Dabei ist jedoch sicherzustellen dass Personen mit begründeten Anträgen in das reguläre Verfahren geleitet werden und rasch Zugang zu internationalem Schutz erhalten.
Wo: Das Grenzverfahren schließt sich an das Screeningverfahren an und findet an den EU – Außengrenzen statt.
Wer: Das Grenzverfahren ist verpflichtend für Personen, die eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung darstellen, Personen die Behörden durch die Vorlage falscher Informationen oder Dokumente oder durch das Zurückhalten relevanter Informationen oder Dokumente in Bezug auf die Identität oder Staatsangehörigkeit, die sich negativ auf die Entscheidung hätten auswirken können, getäuscht hat. Zudem ist das Grenzverfahren verpflichtend für Personen, bei denen es wahrscheinlich ist, dass der Asylantrag unbegründet ist. Wahrscheinlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Person eine Staatsangehörigkeit besitzt, für die Entscheidungen über die Gewährung internationalen Schutzes weniger als 20 % der Gesamtzahl der Entscheidungen für dieses Land ausmachen, als auch bei Personen die aus einem sog. Sicheren Herkunftsland kommen oder über einen sog. Sicheren Drittstaat eingereist sind. Ausnahmen soll es geben für Unbegleitete Minderjährige Kinder, Familien mit Kindern unter 12 Jahren und Personen die nicht aus Rückübernahmebereiten Herkunftsländer oder Drittstaaten kommen. In einer Krisensituation, wobei die Kommission auf Anfrage des betroffenen Mitgliedstaats eine solche Krisensituation bestimmt, sollen Grenzverfahren verpflichten sein bei Personen mit einer Gesamt-Schutzquote von 75 %.
Dauer: Die Dauer des Grenzverfahrens soll 12 Wochen nicht übersteigen. In dieser Zeit soll eine Entscheidung materiell im Asylverfahren erfolgen und eine erstinstanzliche gerichtliche Entscheidung erfolgen. In einer Krisensituation kann die Dauer der Grenzverfahren noch einmal um 8 Wochen auf 20 Wochen verlängert werden.
Rechtliche Folgen: Während des Grenzverfahrens gelten die Schutzsuchenden weiterhin als nicht eingereist. Eine Einreise in das Hoheitsgebiet der EU soll auch nicht gestattet werden, wenn der Schutzsuchende kein Bleiberecht hat. Bei einer Fluchtgefahr des Schutzsuchenden sollen erleichterte Haftbedingungen gelten. Eine Einreise in das Hoheitsgebiet erfolgt bei einer positiven Entscheidung im Asylverfahren. Ansonsten wird der Schutzsuchende in das Rückführungsverfahren geleitet.
- Rückführungsverfahren:
Aufgabe: Schutzsuchende ohne Bleibeperspektive sollen in das Herkunftsland abgeschoben werden oder in ein sicheres Drittland, welches der Schutzsuchende durchreiste, wobei es ausreicht, wenn der Schutzsuchende hier sicher ist. Der sichere Drittstaat muss der Genfer Flüchtlingskonvention nicht beigetreten sein.
Wo: Das Rückführungsverfahren schließt sich an ein negatives Asylverfahren an.
Wer: Günstigere Bestimmungen sollen bei Minderjährigen gegeben sein und eine Zurückweisung soll nicht erfolgen, wenn dies nicht dem Wohl des Kindes entspricht.
Dauer: Das Rückführungsverfahren soll eine Dauer von 12 Wochen nicht überschreiten. In einer Krisensituation kann die Dauer von 12 Wochen um 8 Wochen auf 20 Wochen verlängert werden. Eine freiwillige Ausreise ist in den ersten 15 Tagen nach der negativen Entscheidung vorgesehen.
Rechtliche Folgen: Die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise soll gewährleistet werden, ansonsten soll eine erleichterte Inhaftnahme für die bessere Durchsetzung der Rückführung möglich sein. Eine Inhaftierung von Minderjährigen und Familien soll nur in Notsituationen stattfinden.
Gefahren des Außengrenzverfahren
1. Zugang zum Recht – faire Asylverfahren
Am deutlichsten sind der Zugang zum Recht und das Recht auf ein faires Asylverfahren und ein effektiver Rechtsschutz in Gefahr. Diese Gefahr bedingt sich durch die schnellen Verfahren an den Außengrenze, den eingeschränkten Zugang zu einer Rechtsberatung durch unabhängige Beratungsstellen und Rechtsanwält*innen auf Grund der isolierten Lage sowie durch die Verteilung nach Anerkennungsquoten basierend auf dem Herkunftsland.
Die Grenzverfahren werden zu Schnellverfahren, welche ein reguläres Asylverfahren nicht ersetzen können. Die Asylsuchenden sollen kurz nach der Flucht angehört werden. Kurz nach der Flucht befinden sich jedoch noch viele in einem physischen und psychischen Ausnahmezustand – sie sind gestresst, orientierungslos und verunsichert. In den Asylverfahrensberatungsstellen haben wir die Erfahrung gemacht, dass Asylsuchende eine rechtliche Beratung benötigen, um sich in dieser Extremsituation und schwierigen Bedingungen zu orientieren. Zeit ist von Nöten um sich mit den Gesetzen im Aufnahmeland vertraut zu machen und notwendige Unterlagen, wie zum Beispiel ärztliche Atteste, beizubringen, um eine Verfolgung glaubhaft zu machen. Daher ist eine unabhängige Beratung und Unterstützung essentiell. Doch gerade dies ist in einem Schnellverfahren unter Haftbedingungen oder an entlegenen Orten nur schwer oder gar nicht möglich. Den Aufbau und die Unterhaltung dieser notwendigen Infrastruktur sollten nicht nur Mitgliedstaaten mit einer Außengrenze tragen.
Ferner droht in den Schnellverfahren, dass Asylsuchenden unterstellt wird, keinen Schutz zu brauchen. Besondere Kritik richten sich dabei vor allem auf die in Art. 40 I AsylVerfVO-E 2020 normierte Anerkennungsquote von 20 %, welche Asylsuchende nach ihrem Herkunftsland in das Grenzverfahren verortet. Neben der Vermutung, dass diese willkürlich bestimmt worden sei, eignen sich Herkunftsländer zudem grundsätzlich nicht als Indiz für das Bestehen einer individuellen Verfolgung. Aus der Beratungspraxis liegt die Erfahrung zugrunde, dass Fälle aus Ländern, die unter der besagten Anerkennungsquote des Art. 40 I AsylVerf-VO 2020 liegen, einer präzisen Betrachtung anstelle einer beschleunigten bedürfen, um das Schicksal der individuellen Verfolgung feststellen zu können.
Art. 4 III der neu gefassten AnerkennungsRL iVm. Art. 33 II AV-VO erfordert grundsätzlich eine individuelle Prüfung der Fluchtgründe, die so untergraben werden könnte. Mit einer derartig beschleunigten Prüfung drohen falsche Entscheidungen und damit nicht zuletzt auch eine Verletzung des Gebots der Nicht-Zurückweisung (non-refoulement). In einer Krisensituation, die von der VO nicht näher definiert wird, besteht sogar die Möglichkeit die Anerkennungsquote auf 75 % anzuheben.
Auch der Zugang zu Recht und ein der effektiver Rechtsschutz sind von den Regelungen des Grenzverfahrens betroffen, sodass letztlich auch das Recht auf Asyl (Art. 18 GRCh) in prekärer Weise tangiert sein könnte.
Neben der gravierenden Tatsache, dass die (haftähnliche) Isolation den internationalen Menschenrechtsstandards nicht gerecht werden, wird mit der Isolation selbst der Zugang zu unabhängigen Berater*innen und Rechtsawält*innen ohne bestehendes Mandat faktisch beschränkt oder verhindert. Die mangelnde rechtliche Unterstützung der Schutzsuchenden und der damit verbundene eingeschränkte Zugang zu einem effektiven Rechtsbehelf zählen bereits seit Jahren zu den Hauptproblemen in den Hotspots. Durch die Verlagerung des Großteils der Asylverfahren an die Außengrenzen wird dieses Problem nicht behoben, sondern rechtlich verstetigt und ausgeweitet. Ungeklärt bleibt also auch im Rahmen des neuen Grenzverfahrens, wie Betroffene selbständig an (anwaltliche) Unterstützung und Rechtsberatung gelangen können.
Zwar sieht das Grenzverfahren eine Anhörung mit Einzelfallprüfung (Art. 11 bis Art. 13 AV-VO 2016), Rechtsschutzmöglichkeiten (Art. 53, 54 AsylVerfVO-E 2020, Art. 55 AsylVerfVO-E 2016) und Zugang zu (unentgeltlichem) Rechtsbeistand vor (Art. 14 bis 17 AsylVerfVO-E 2016). Die Erfahrung zeigt jedoch, dass der Zugang zu diesen Verfahrensgarantien durch die grenznahe und haftähnliche Unterbringung der Schutzsuchenden übermäßig erschwert wird. Mit derartig nüchternen Startvoraussetzungen sinkt die Garantie auf ein faires Asylverfahren erheblich.
Hinzu kommt der beschränkte Zugang zu Rechtsschutz durch die Regelungen der Art. 53 und Art. 54 AsylVerfVO-E 2020, die einerseits den Rechtsbehelf auf eine Instanz beschränken und für Entscheidungen aus dem Grenzverfahren keine aufschiebende Wirkung vorsehen. Ferner wird auch der Prüfungsumfang durch die Gerichte erheblich eingegrenzt.
Anträge im Grenzverfahren werden aufgrund des knapp bemessenen Zeitraumes bereits unsorgfältiger geprüft. Denn bei einem Verfahren innerhalb von 12 Wochen scheint es unausweichlich, dass Verfahrensgarantien übergangen werden müssen. Hinzu kommt die Anerkennungsquote, die die Vielschichtigkeit von Fluchtgeschichten übergeht und Personen allein aufgrund ihres Herkunftslandes dem Grenzverfahren zuordnet. Es ist zu befürchten, dass selbst Entscheidungsträger*innen mit einer fundierten Expertise zum Herkunftsland unterbewusst von einer derartigen Quote, die ein Land als 'sicher' etikettiert, beeinflusst werden könnten. Zu erwarten ist also, dass die sorgfältige Prüfung des Antrags bereits dadurch vereitelt wird. Daher erscheint es hier umso wichtiger, dass es mehrere Instanzen gibt, die sich mit der Entscheidung auseinandersetzen können und so zumindest in den Ansätzen ein effektiver Rechtsschutz garantiert ist. Andernfalls besteht die Gefahr, dass unter Zeitdruck entstandene Entscheidungen nicht korrigiert werden können.
Zudem fallen die Klagefristen (Art. 53 Abs. 7) für negative Bescheide aus beschleunigten Verfahren deutlich verkürzt aus. Es handelt sich dabei um eine Wochenfrist, die erfahrungsgemäß nicht effektiv schützen kann. Verschärft wird die Situation dann, wenn es nur eine Instanz geben soll und der Großteil der Person keine Rechtsberatung erhält, die sie über diese komplexen Regelungen aufklärt .Ein Menschenrechtsbericht vom Lager der griechischen Insel Samos schilderte überdies, dass nur einer geringen Anzahl durch das staatlich finanzierte Rechtsmittelprogramm Rechtsbeistand beigeordnet wurde.
Auf Lesbos stehen nur 20 Anwält*innen für 6000 Schutzsuchende zur Verfügung, lange erhielten diese auch keinen Zugang zum neuen Camp auf der Insel.
2. Aufnahmen unter haftähnlichen Bedingungen
Bei einer Ablehnung im Grenzverfahren, wird das Verfahren in das Rückführungsverfahren übergeleitet. Auch hier gilt weiterhin die Fiktion der Nichteinreise. Beide Verfahren sollen jeweils bis zu zwölf Wochen dauern. Damit könnten Schutzsuchende bis zu 24 Wochen in Lagern an den Außengrenzen der EU festgesetzt und isoliert werden. Zudem besteht in einer Krisensituation die Möglichkeit, Asylverfahren und Abschiebung um zusätzlich je zwei Monate zu verlängern (Art. 4 Abs. 1 lit. b) K-VO). Scheitert eine Rückführung, weil z.B. der Herkunftsstaat oder Drittstaat nicht wiederaufnahmebereit ist, könnten sich die Verfahren in Extremfällen über Jahre erstrecken. Aufgrund der Fiktion der Nichteinreise bleibt Asylsuchenden für die Zeit der Verfahren zudem der Zugang zum mitgliedsstaatlichen Hoheitsgebiet verwehrt. Angesichts dieser Umstände und bisheriger Studien zu Grenzverfahren kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass eine pauschale Anwendung von Haft stattfinden wird, um solche Zustände aufrechterhalten zu können.
Wir warnen vor der Entstehung und Verstetigung haftähnlicher Lager an den europäischen Außengrenzen, in denen Schutzsuchende unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht werden. Da Grenzverfahren keine Neuerscheinung darstellen, sind diese haftähnlichen Zustände bereits bekannt. Bereits jetzt verfügt beispielsweise Griechenland über formelle sowie informelle 'migration detention facilities'. Diese formellen, auch 'pre-removal centres' genannt, bergen bereits Ähnlichkeit zu Gefängniszellen. Daneben gibt es die 'reception and identification centres', bekannt als die Hotspots, die sich mehrheitlich auf den Inseln befinden. Menschen, die sich in diesen aufhalten, dürfen das Territorium -also die Inseln- nicht verlassen und sind damit de facto inhaftiert. In beiden Unterbringungen gibt es kaum bis zur gar keinen Zugang zu einer Grundversorgung. Hinzu kommt der fehlende Schutz für vulnerable Gruppen.
Lösungsvorschläge
Der Pakt ist eine Gelegenheit, die Asylsysteme in Europa zu verbessern, sichere und legale Wege auszuweiten, Verantwortung gemeinsam zu tragen und einzelne Mitgliedstaaten zu entlasten. Das bedeutet, dass wir uns auf das konzentrieren müssen, was innerhalb Europas geschieht, und nicht auf die fortgesetzten Bemühungen, die Verantwortung nach außen zu verlagern.
Der Schlüssel zu einem funktionierenden Asylsystem in Europa liegt in einer besseren Einhaltung des bestehenden Asylrechts, nicht in einer Reform (mit Ausnahme der Dublin-Verordnung). Zu den auffälligen Umsetzungslücken, die sofort angegangen werden müssen, gehören u.a.: unzureichende Aufnahmebedingungen, Hindernisse bei der Registrierung, fehlende besondere Verfahrensgarantien, die "Asyl-Lotterie", die sich aus unzureichenden und uneinheitlichen Entscheidungen ergibt, sowie die schädliche und ineffiziente Anwendung der Dublin-Verordnung. Die neue Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen diese Lücken zu schließen, indem sie die Einhaltung der Vorschriften überwacht, die Gesetzgebung bewertet, Leitlinien zur Unterstützung der ordnungsgemäßen Umsetzung herausgibt und gegebenenfalls Durchsetzungs- und Vertragsverletzungsverfahren einleitet.
Für die neue Legislaturperiode fordert der AWO Bundesverband, dass sich die neue Bundesregierung mit dem Hauptmangel des gemeinsamen Europäischen Asylsystems der Dublin III VO befasst und sich nicht zur Behebung der Mängel für die Ausweitung der Grenzverfahren einsetzt. Grenzverfahren können den bestehenden Mangel nicht beheben, viel mehr verschlimmern. Die neue Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen von der Zuweisung der Zuständigkeit des ersten Ankunftslandes Abstand zu nehmen und einen fairen und solidarischen Verteilmechanismus einzuführen.
In der Zwischenzeit sollte der Ermessensspielraum ausgeübt werden, der den Mitgliedstaaten in der Dublin-III VO zur Verfügung steht, dass sie politische Entscheidungen treffen können, um die Verordnung in einer humaneren und auf Rechten basierenden Weise umzusetzen und gleichzeitig die Schwierigkeiten zu mildern, die sich aus der unverhältnismäßigen Aufteilung der Zuständigkeiten in diesem System ergeben. Erstens: Vorrang für die Familienzusammenführung. Zweitens: Begrenzung der Überstellungsanträge, insbesondere dann, wenn sie zum Scheitern verurteilt sind, die Menschen in der Schwebe lassen und die Ressourcen der Justiz binden. Drittens: Nutzung der Ermessensklauseln (Souveränitätsklausel und humanitäre Klausel) im Interesse der Flüchtlinge und zur Förderung der Solidarität durch Übernahme von Verantwortung, wo immer dies möglich ist. Weitere kurzfristige Maßnahmen können ergriffen werden, um die schädlichen Auswirkungen des Systems abzumildern, wie z.B. die Umsiedlung und die Verwendung von EU-Mitteln in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen der ankommenden Menschen.