Seite drucken
AWO Präsidiumsmitglied Helga Kühn-Mengel dazu, warum es in Deutschland keine Geschlechterrolle rückwärts geben darf, und wie wir Geschlechtergerechtigkeit erreichen können.
Das momentane „Reizthema“ Gendern – was meint die AWO dazu?
Wir in der Arbeiterwohlfahrt finden Sprache wichtig. Sie kann gesellschaftlichen Wandel ausdrücken und einläuten. Sprache bringt zum Ausdruck, wie wir die Welt begreifen und gestalten. Deshalb muss sie inklusiver werden, wenn wir wirklich eine inklusive Gesellschaft werden wollen – eine inklusive Gesellschaft ohne eine inklusive Sprache kann es nicht geben. Deshalb finden wir gendern mehr als sinnvoll.
Aber haben wir da nicht schon große Fortschritte gemacht?
Die Corona-Krise hat schonungslos gezeigt, welche großen Defizite im Bereich Gleichstellung in Deutschland noch bestehen. Die Lücke in Einkommen und Rente, die fehlende Anerkennung für berufliche und private Fürsorgearbeit, die hohe Gewaltbetroffenheit von Frauen im sozialen Nahraum, zunehmende Diskriminierung und Gewalt gegen LSBTIQ* und fehlende sexuelle und reproduktive Rechte zeigen das Ausmaß der Probleme. Die AWO setzt sich seit ihrer Gründung dafür ein, dass alle Menschen ihre Lebensentwürfe unabhängig von geschlechtlicher Identität oder sexueller Lebensweise verwirklichen können. Dafür braucht es eine gleiche Verteilung von Ressourcen, Macht und Wertschätzung.
Wie können wir das erreichen?
Jetzt ist aus unserer Sicht der Zeitpunkt, der Geschlechterrolle rückwärts vorzubeugen. Eine zukünftige Bundesregierung muss ein Maßnahmenpaket für eine inklusive geschlechtergerechte Politik vorlegen, damit die Folgen der Corona-Krise geschlechtergerecht bewältigt werden können. Wichtige Bestandteile dafür sind substantielle Lohngerechtigkeit und die Aufwertung sozialer Berufe. Ein Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe bei geschlechtsspezifischer Gewalt muss endlich eingeführt werden. Damit verbunden muss die Infrastruktur von Schutzunterkünften und Beratungsstellen entsprechend der Istanbul Konvention ausgebaut und finanziell abgesichert werden. Sexuelle und reproduktive Rechte dürfen kein „nice to have“ mehr sein, wir brauchen dringend eine Verbesserung der Versorgungslage bei ungewollter Schwangerschaft und einen Kostenübernahme von Verhütungsmitteln bei einkommensarmen Menschen. Artikel 3 des Grundgesetzes muss um den Bestandteil der sexuellen Identität ergänzt werden, damit die Grund-und Menschenrechte für alle Menschen gleichermaßen gelten.
Wenn Gleichstellung zu einer zentralen Aufgabe von Politik wird, können wir Geschlechtergerechtigkeit erreichen. Deutschland, Du kannst das!
© AWO Bundesverband
Die AWO begleitet die 12 Wochen bis zur Wahl unter dem Motto „Deutschland, Du kannst das!“ mit sozial- und gesellschaftspolitischen Forderungen an die kommende Bundesregierung. Dieser Artikel wurde im Rahmen der Themenwoche „Geschlechtergerechtigkeit“ veröffentlicht. Mehr dazu unter: https://awo.org/bundestagswahl-2021