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Von: Mona Finder
Als vor 100 Jahren die Frauen in Deutschland das Wahlrecht erhielten, gaben 82 Prozent von ihnen bei der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung ihre Stimme ab. 37 weibliche Abgeordnete, unter ihnen die Gründerin der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Marie Juchacz, zogen in das Parlament ein. „Wir sind stolz darauf, dass unsere Gründerin Marie Juchacz als erste weibliche Abgeordnete das Wort ergriff. Die AWO Gründerin plädierte für eine gerechtere Sozialpolitik, eine Forderung, die nach wie vor nichts an Aktualität verloren hat“, betont der AWO Bundesvorsitzende Wolfang Stadler. In ihrer Rede wandte sich Juchacz besonders der Situation der Frauen zu: „Wir Frauen sind uns sehr bewußt, daß in zivilrechtlicher wie auch in wirtschaftlicher Beziehung die Frauen noch lange nicht die Gleichberechtigten sind. Es wird hier angestrengtester und zielbewußtester Arbeit bedürfen, um den Frauen im staatsrechtlichen und wirtschaftlichen Leben zu der Stellung zu verhelfen, die ihnen zukommt.“
Der AWO Bundesvorsitzende erklärt: „Marie Juchacz legte den Grundstein für die bis heute in alle gesellschaftlichen Felder reichende soziale Arbeit der AWO. Die Forderung nach einem selbstbestimmten, gewaltfreien und ökonomisch abgesicherten Leben für alle Frauen bleibt erschreckend aktuell.“ Das passive und aktive Wahlrecht trug wesentlich dazu bei, dass Frauen viel erreichen konnten. Doch obwohl Frauen heutzutage oft über eine bessere Ausbildung als Männer verfügen, tragen sie privat wie beruflich die Hauptlast im Bereich Pflege, Erziehung und Betreuung. Frauen sind gegenwärtig immer noch weniger als Männer in Erwerbsarbeit integriert und die Lohndifferenz zwischen den Geschlechtern ist in Deutschland höher als in den meisten anderen Ländern Europas. „Die Grundlage einer verbesserten Geschlechtergerechtigkeit ist eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, betont der AWO Bundesvorsitzende.
In diesem Sinne beschloss der AWO Bundesausschuss im November 2017 den 1. Gleichstellungsbericht der AWO. Wolfgang Stadler sieht diesen Bericht als Grundlage für einen nachhaltigen Veränderungsprozess: „Wir sehen uns in der Verantwortung, die geschlechterstereotype Arbeitsverteilung zu überwinden und gleiche Verwirklichungschancen für alle Geschlechter innerhalb unseres Verbandes zu ermöglichen.“
Marie Juchaz (1879-1956): Nachdem ihre Anrede „Meine Damen und Herren” damals noch für Heiterkeit sorgte, unterstrich Juchacz die Selbstverständlichkeit ihrer Anwesenheit im Parlament: “Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf. (…) Ich möchte hier feststellen und glaube damit im Einverständnis vieler zu sprechen, dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.”