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Von: Laura Streitbürger
Eine Mutter denkt zurück an ihre Kindheit und wünscht sich, dass ihre Kinder es in einer kindgerechten Ganztagsschule gut antreffen werden.
Wenn ich an meine Schulzeit zurück denke, dann fallen mir (wie vielen anderen befreundeten Eltern auch) viele kleine und große Abenteuer ein. Als Grundschulkind war es für mich das Größte, nach dem Mittagessen und den Hausaufgaben meine Freunde mit dem Fahrrad besuchen zu dürfen und mit ihnen je nach Laune und Wetter mal zum Wäldchen zu fahren oder auch mal zum Ponyhof, manchmal aber auch auf dem Spielplatz zu landen.
Gegen 17/18h war ich meistens wieder zu Hause, verschwitzt, manchmal mit dreckiger Hose vom Baum klettern aber meistens zufrieden und mit dem großen Drang, alles zu erzählen was ich erlebt hatte. Schule selbst ist in meiner Erinnerung eher blass, einfach weil mittags schon Schluss war und die spannenden Dinge mit Freunden danach stattfanden. Draußen. Und wenn ich mal keine Lust hatte, bin ich halt zu Hause geblieben, hab gelesen, was gemalt oder gebastelt. Irgendwann in der 2. Klasse fing dann auch noch Flötenunterricht an, das heißt Zeiten zum Üben brauchte ich auch. Und wenn ich erschöpft war, hab ich ein Nickerchen gemacht.
Meine beiden Kinder wachsen anders auf. Nicht in einem eher ländlich geprägten Vorort einer Stadt im Ruhrgebiet der 80er Jahre, sondern mitten in Stuttgart. Zwar auch in einem Vorort, aber mit deutlich mehr Autoverkehr. Und mit Ganztagsschule.
Ich frage mich schon, was meine Tochter irgendwann mal über ihre Grundschulzeit erzählen wird. Schließlich ist sie dort immer bis 16h, manchmal sogar bis 17h. Die spannenden Dinge sollten also dort passieren, danach ist nicht mehr viel Zeit übrig. Als Mutter ist daher mein Wunsch und Anspruch an den Ganztag, dass Zeit und Raum für Erlebnisse geschaffen werden – auch und vor allem außerhalb des Schulgebäudes.
Das passiert an der Schule meiner Tochter vorbildlich, denn hier gibt es ein seit 10 Jahren eingespieltes Team aus Schulleitung und pädagogischer Leitung des Ganztagsträgers – aber ich weiß, dass hier an vielen anderen Standorten noch viel Luft nach oben ist. Eine Vorstellung, die leider viele Planungsverantwortliche immer noch haben besteht darin, dass Klassenzimmer einfach für die Mehrfachnutzung freigegeben werden sollten. Dabei haben Kinder, deren Lebensraum die Ganztagsschule ist, auch ein Recht auf Fahrradfahren, den Ponyhof zu besuchen oder einfach auf den Spielplatz zu gehen.
Als Mutter möchte ich, dass meine Kinder zu neugierigen, selbständigen, empathischen und verantwortungsvollen jungen Menschen werden – und dafür gestehe ich ihnen altersentsprechend so gut es geht auch Freiräume zu. Das erwarte ich auch im guten Ganztag.
Experten sagen, der Raum ist der dritte Erzieher – wie vorbildlich das umgesetzt wird, habe ich an der Freien Ganztagsschule „Leonardo“ der AWO in Jena gesehen. Wenn Kommunen nicht die Möglichkeit haben, Kinder und Architekten für so ein tolles Projekt zusammen zu bringen, dann sollten Kinder zumindest gefragt und beteiligt werden, wie sie sich ihre Schule vorstellen. Und dann gemeinsam umsetzen. Mit Eltern, Lehrern, Schüler*innen.
Wenn Klassenzimmer mehr wie Kinderzimmer aussehen dürften, wäre schon viel gewonnen. Und sie müssen veränderbar sein – Bedürfnisse von Erstklässlern sind schließlich andere als die von den Großen in der 4. Klasse. Das sollte in den Klassenzimmern deutlich werden dürfen. Anhand von Wandgestaltung, Mobiliar und Spielangeboten. Vielleicht sogar digital, wenn Schulen W-LAN hätten. Und getreu dem Gesetz der kurzen Beine sollten sie sich auch in der Welt draußen Räume erobern dürfen. Schritt für Schritt – altersgemäß eben.
Vielleicht wird meine Tochter irgendwann sagen: „Weißt du Mama, am coolsten war es als wir mit Minecraft unser Klassenzimmer für die vierte Klasse geplant haben.“ Und mein Sohn wird vielleicht später sagen, am tollsten sei das Fußballturnier in der 3. Klasse gewesen. Oder sie sagen beide begeistert, wie toll die Radtouren zum Waldheim oder die Besichtigung der Feuerwache in der Ferienbetreuung gewesen sind. Ich wünsche mir für beide jedenfalls, dass sie schöne Erinnerungen haben werden. Drinnen wie draußen. Und mit Freunden.
Abschließen möchte ich mit dem Sprichwort: zur Erziehung eines Kindes braucht es ein ganzes Dorf. Also nicht nur verschiedene Menschen, sondern eben auch enge Gassen, große Plätze, Geschäfte, Orte zum Verstecken, Kletterbäume und, und, und… – Räume halt!
Die Autorin Laura Streitbürger berichtet aus Sicht einer Mutter von zwei Kindern. Sie ist hauptberuflich Referentin für Kinder- und Jugendhilfe beim AWO Bezirksverband Württemberg in Stuttgart.