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Familien bilden mit ihren unterschiedlichen Lebenslagen, Lebenskonzepten und Formen des Zusammenlebens die gesellschaftliche Vielfalt in ihrer Breite ab. Als zentrale Sozialisations- und Lernorte sind Familien der Ort, an dem nicht nur Kinder, sondern Menschen jeden Lebensalters einen geschützten Raum für Kommunikation und Interaktion, Zuwendung und Anerkennung, Beziehung und Selbstbildung finden. Dort, wo Kinder in der Familie leben, stehen Familien vor einer Vielzahl anspruchsvoller Erziehungs- und Bildungsanforderungen – und zwar von den ersten Lebenstagen des Kindes an bis an die Schwelle zu Ausbildung und Berufsleben. Eltern werden dabei als Erziehende, Ermöglichende, Vorbilder, Versorgende, Begleitende und Beratende herausgefordert. Gleichzeitig ist Familie ein Ort auch gesellschaftlicher und politischer Sozialisation: Wenn Kinder und Jugendliche sich in ihren Familien als selbstwirksam, ernstgenommen und mitgestaltend erleben, kann dies einen Grundstein dafür legen, dass sie sich dauerhaft aktiv für das gesellschaftliche Miteinander und die Demokratie einsetzen.
Unabhängig von Herkunft, Bildungsstand oder sozioökonomischem Status haben Familien in unterschiedlichen Phasen ihres Familienlebens Fragen, das Bedürfnis nach Begegnung und Austausch mit anderen, aber auch nach konkreter Begleitung und Beratung in der Bewältigung herausfordernder Situationen oder Übergänge. Familienbildung, Familienberatung und Familienerholung als familienfördernde Leistungen nach dem SGB V III bieten allen Familien eine gute Begleitung – von Anfang an:
Familienbildung und Angebote der Beratung in allgemeinen Fragen der Erziehung tragen dazu bei, dass Familien in den unterschiedlichen Lebenslagen und Familienphasen – weit im Vorfeld möglicher Krisen – ihre komplexen Erziehungs-, Bildungs- und Fürsorgeaufgaben gut wahrnehmen können. Sie stärken die Verantwortung der Generationen für einander und zeigen Wege auf, wie ein respektvolles Miteinander gelingen kann, wie Konfliktsituationen in der Familie gewaltfrei gelöst, Entscheidungen gemeinsam getroffen, Kompromisse ausgehandelt und die Wünsche und Bedürfnisse aller Beteiligten angemessen Berücksichtigung finden können. Durch die wertvolle Ressource Elternbegleitung mit bundesweit rund 14 000 entsprechend weiterqualifizierten Fachkräften erfahren Familien darüber hinaus Unterstützung in der Bildungsförderung ihrer Kinder. Familienerholung und Angebote der Familienfreizeit richten ihre Arbeit an und für Familien aus, um sie für den Alltag zu stärken. Dabei ist es ein Anliegen ist es, insbesondere Familien in belastenden Lebenssituationen eine gemeinsame Erholungszeit zu ermöglichen.
Die vergangenen 15 Monate standen unter den massiven Beschränkungen der Pandemie. Geschlossene Kitas und Schulen, aber auch vielfach existenzielle Sorgen aufgrund von Einkommensverlusten oder drohender Arbeitslosigkeit als Folge der Corona-Pandemie haben Familien vor deutlich verschärfte Herausforderungen gestellt. Die Ungleichheit im Zugang zu Bildung und Teilhabe ist so deutlich wie noch nie sichtbar und spürbar geworden – mit kaum abzusehenden Konsequenzen. Da auch die meisten familienbegleitenden Leistungen über Monate hinweg heruntergefahren werden mussten, waren die Familien dabei vielfach weitgehend auf sich selbst gestellt. Als Teil einer wichtigen und fraglos systemrelevanten Unterstützungsstruktur für alle Familien haben Mitarbeitende und Einrichtungen der Familienbildung, -beratung und -erholung trotz geschlossener Häuser gerade in dieser Zeit flexibel und kreativ auf die neuen Bedarfe der Familien reagiert und so einen bedeutsamen Beitrag zur Bewältigung der großen Belastungen und komplexen Herausforderungen in den Familien geleistet.
Viele Familien bedürfen aber weiterhin und mehr noch als zuvor der Unterstützung und Beratung, um Erlebtes aufzuarbeiten, ihr alltägliches Familienleben neu zu organisieren und ihre familialen Beziehungen neu auszurichten.
Familienfördernde Leistungen erweisen sich somit als wesentlicher Faktor im Hinblick auf die Stärkung von Familien und ein Aufwachsen im Wohlergehen der Kinder und Jugendlichen. Dies belegt aktuell auch der Neunte Familienbericht der Bundesregierung. Sie zeitgemäß zu gestalten, heißt, die komplexen Bedarfslagen heutiger Familien wahrzunehmen und aufzugreifen.
Die Rahmenbedingungen für diese universalpräventiven Leistungen jedoch werden dem an sie gestellten anspruchsvollen Auftrag oftmals wenig gerecht. Nicht nur fehlt es an einer angemessenen Berücksichtigung dieser Leistungen in den kommunalen Planungen, sondern auch an personellen und finanziellen Ressourcen für eine qualitativ hochwertige Bildungsarbeit mit Familien und die notwendige sozialräumliche Vernetzung. Insbesondere angesichts der als Folge der Corona-Maßnahmen zu erwartenden knappen kommunalen Haushalte steht zu befürchten, dass diese allgemein fördernden Leistungen für Familien weiter zurückgefahren werden.
Die gesamte Gesellschaft profitiert von den vielfältigen Leistungen, die tagtäglich in den Familien erbracht werden. Gleichwohl fehlt es weitgehend an einer Akzeptanz und Wertschätzung gegenüber ihren Leistungen. Risiken werden allzu häufig individualisiert. Gerade Erziehung und Bildung jedoch sind auch als gesamtgesellschaftliche Aufgaben zu sehen und Eltern und Familien als die wichtigsten Akteure in der Erziehung und Bildung ihrer Kinder durch eine entsprechende Infrastruktur zu stärken, ist daher für die AWO ebenso selbstverständlich wie ihr Engagement für eine qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung und Betreuung und wirksame Strategien gegen Kinderarmut und Bildungsbenachteiligung.
Es reicht also nicht, nur über Familie zu reden! Wir fordern daher die Politik auf, sehr viel stärker als bisher die tatsächlichen Bedarfe und Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und Familien in den Mittelpunkt ihres Handelns zu stellen, um gute Rahmenbedingungen für ein sowohl selbstbestimmtes als auch gelingendes Zusammenleben der Generationen zu schaffen: Familien brauchen - neben geeigneten familienpolitischen Strukturentscheidungen - jetzt und in der Zukunft Angebote, Institutionen und Infrastrukturen in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld, die zu ihrem Familienalltag und zu ihren Fragen passen, die sie stärken und entlasten. Der Ausbau dieser familienstärkenden Infrastruktur trägt maßgeblich zur Gestaltung lebenswerter kinder- und familienfreundlicher Lebensräume, einem Mehr an Bildungs- und Teilhabegerechtigkeit und zu einem Aufwachsen aller Kinder im Wohlergehen bei.
Weiteres zur Bundestagswahlkampagne
Die AWO begleitet die 12 Wochen bis zur Wahl unter dem Motto „Deutschland, Du kannst das!“ mit sozial- und gesellschaftspolitischen Forderungen an die kommende Bundesregierung. Dieser Artikel im Rahmen der Themenwoche „Starke Familien“ veröffentlicht. Mehr dazu unter: https://awo.org/bundestagswahl-2021