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Fürsorgearbeit muss ein selbstverständlicher Teil des Lebens und der Erwerbsbiografie aller Geschlechter sein können.
Anlässlich des heutigen Equal-Care-Day fordert der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt eine Anpassung der Rahmenbedingungen von Erwerbsarbeit an die Bedarfe privater und professioneller Sorgearbeit. Anderenfalls drohe eine Versorgungslücke mit Auswirkungen für die gesamte Gesellschaft. Der Verband kritisiert damit auch die jüngsten Äußerungen von Arbeitgeber-Präsident Steffen Kampeter. Dazu erklärt Selvi Naidu, Mitglied des AWO Bundesvorstandes:
„Work-Life-Balance mit einer 39-Stunden-Woche kann man nur dann problemlos organisieren, wenn man die nötige Sorgearbeit an andere delegiert – entweder an professionelle Dienstleister*innen oder ungenannte Familienmitglieder. Wer das nicht kann, muss unweigerlich und fast immer auf Kosten der eigenen Gesundheit mit zu vielen Verantwortungen jonglieren – Frauen in vielen Familien können ein Lied davon singen.
Große Teile von Politik und Wirtschaft scheinen diese Verpflichtungen als private Luxus-Themen anzusehen, die jede*r allein zu organisieren hat. Wir haben aber in den letzten drei Jahren überdeutlich gesehen, was passiert, wenn Sorgearbeit nicht mehr ausreichend geleistet werden kann: Die gesamte Gesellschaft und mit ihr die Wirtschaft geraten ins Stocken. Denn unsere Gesellschaft ist gar nicht überlebensfähig ohne Care-Arbeit: Früher oder später im Leben ist jeder Mensch auf die Fürsorge anderer existenziell angewiesen. Trotzdem wird die überwiegend von Frauen geleistete Fürsorgearbeit in Familien, Anlaufstellen und Einrichtungen gleichermaßen in unserer Gesellschaft skandalös missachtet.
Äußerungen wie die von Steffen Kampeter können vor diesem Hintergrund nur irritieren: Wir brauchen nicht „mehr Bock auf Arbeit“ von Einzelnen, wir brauchen, um in der Sprache des Arbeitgeberpräsidenten zu bleiben, mehr „Bock auf Fürsorge“ von den Entscheider*innen in Politik und Wirtschaft. Sie müssen die Rahmenbedingungen schaffen, damit Sorgearbeit anerkannt wird und nicht mehr nur überwiegend von Frauen abhängt.
Dazu bedarf es laut der AWO neben dem Ausbau guter Kindertagesbetreuung und der Aufwertung sozialer Arbeit vor allem eines gesellschaftlichen Bewusstseinswandels. „Fürsorgearbeit muss ein selbstverständlicher Teil des Lebens und der Erwerbsbiografie aller Geschlechter sein können!“, so Naidu. „Dazu gehören sozial abgesicherte Teilzeitoptionen, die partnerschaftliche Aufteilung von Elternzeit, bessere Absicherung für die Pflege von Angehörigen, Familienarbeitszeit, gute Vereinbarkeitsmöglichkeiten für Alleinerziehende und Optionszeiten, die Menschen über ihren gesamten Lebensverlauf hinweg einen kurzzeitigen Ausstieg aus dem Erwerbsleben ermöglichen. Klar ist aber auch: Die familiengerechte Gesellschaft ist, v.a. aus Sicht von Frauen, nur erreichbar, wenn sich neben dem Arbeitsmarkt auch das Steuersystem ändert und wir uns endlich vom Ehegattensplitting verabschieden!“
Kontakt:
Jennifer Rotter
Pressesprecherin