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Gestern hat der EU-Ratspräsident Donald Tusk beim EU-Gipfel den Mitgliedsstaaten mangelnde Handlungsfähigkeit in der Flüchtlingspolitik vorgeworfen. Dass eine zunehmende Abschottung Europas jetzt keine Lösung sein kann, erklärt Stephan Lessenich im Interview der aktuellen Ausgabe der „Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit“. „Wir leben nach wie vor unter Bedingungen, in denen die reicheren Gesellschaften dieser Welt ihre ökonomischen, ökologischen und sozialen Kosten in anderen Ländern anfallen lassen“, erklärt der Professor aus München.
Wir brauchen eine Vorstellung von Solidarität, die nicht mehr nur auf den nationalstaatlichen Rahmen eingeschränkt ist.
Stephan Lessenich, Professor für Soziologie an der LMU München
So werden auch die natürlichen Lebensgrundlagen vieler Menschen in ihren Heimatländern zerstört. Lessenich weist deshalb darauf hin, „dass die Fluchtbewegung der letzten zwei Jahre kein Einzelfall, keine Sonderkonjunktur war, sondern auf Dauer gestellt ist.“ Doch Lessenich sieht aufgrund der Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit auch ein gewachsenen Verständnis für die globalen Wirtschaftszusammenhänge bei den Bürgerinnen und Bürgern: „Die Zunahme der Zahl der Geflüchteten hat nicht nur dazu geführt, dass die Leute sagen: ‚Oh mein Gott, wir müssen uns abschotten!‘, sondern sie hat auch vielen Menschen klargemacht: ‚Davor können wir nicht länger die Augen verschließen.“ Die Augen nicht länger verschließen dürfen jetzt auch nicht die Staats- und Regierungschefs der EU. Auch sie müssen die globalen Wirtschaftszusammenhänge anerkennen und eine Wirtschaftspolitik auf Augenhöhe mit den Ländern des globalen Süden etablieren und so Perspektiven vor Ort schaffen. Im Interview fordert Lessenich deshalb eine globale Solidarität ein, die nicht mehr nur eingeschränkt ist auf den nationalstaatlichen Rahmen.
Kontakt:
Peter Kuleßa
Verantwortlicher Redakteur TUP