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Von: Judith Adamczyk
Jede Familie ist anders. Jede Familie hat eigene Bedarfe und Bedürfnisse – auch was ihre Vorstellung von einer gelungenen Vereinbarkeit von Familie und Beruf und einem guten Bildungsverlauf für ihre Kinder angeht. Ein wichtiges Element – für Vereinbarkeit als auch im Hinblick auf Bildungs- und Chancengerechtigkeit – ist, dass Kinder eine qualitativ hochwertige Betreuung erhalten. Darunter fallen im frühen Kindesalter der Besuch von Krippe und Kindergarten und anschließend die Schule als zentrale Institution für alle Kinder. Eben an dieser Schwelle zwischen Kindergarten und Schule kommt es für viele Familien zu einem Betreuungsproblem.
Kinder ab dem vollendeten 1. Lebensjahr haben einen Rechtsanspruch auf Betreuung in einer Kindertageseinrichtung. Der Bedarf an Betreuungsplätzen steigt seit Einführung des Rechtsanspruchs kontinuierlich an. Mittlerweile wird etwa jedes dritte Kind unter 3 Jahren institutionell betreut, bei den 5-Jähringen besucht fast jedes Kind eine Kindertageseinrichtung. Dazu kommt, dass etwa die Hälfte aller Kinder im Kindergartenalter (3-5 Jahre) einen vertraglich vereinbarten Ganztagsplatz hat, hinzu kommen noch etwa 38% der Kinder, die einen erweiterten Halbtagsplatz mit einem Umfang über 25 und unter 35 Stunden in der Woche haben. Mit Eintritt in die 1. Klasse werden zwar alle Kinder schulisch betreut, der zeitliche Umfang ist aber häufig deutlich kürzer als es während der Kindergartenzeit war. Der Bedarf an weiteren Betreuungsangeboten während der Grundschulzeit liegt also unmittelbar vor und ist für viele Familien existenziell wichtig, um (weiterhin) ihrer Erwerbstätigkeit im gewohnten Umfang nachgehen zu können.
Alle Eltern wollen das Beste für ihr Kind. Was das Beste ist, dürfen die Eltern (unter Berücksichtigung der Schulpflicht) selbst entscheiden. Es gilt daher ansprechende Angebote zu machen unter denen vielfältige Betreuungsmöglichkeiten ermöglicht werden. Zwei Aspekte dürfen dennoch nicht vergessen werden.
Erstens: Der Bedarf an Betreuungsangeboten steigt zwar insgesamt an, aber dennoch haben nicht alle Familien den Bedarf (und Wunsch) nach ganztägigen Angeboten. Die Wünsche und Möglichkeiten sind vielfältig – z. B. Betreuung nur an einzelnen Tagen in der Woche oder die Übermittagsbetreuung. Einige Familien wünschen sich zudem keine Betreuungsangebote außerhalb der Schulzeit. Unterschiedliche Vorstellungen von einer „guten Betreuung“ für Schulkinder müssen ermöglicht werden.
Zweitens: Die gegenwärtige Ausgangslage in den einzelnen Bundesländern ist sehr heterogen. Während in einigen Ländern z. B. Horte ein fester Bestandteil in der institutionellen Betreuung sind, haben sich andere Länder für andere „Wege“ entschieden und bieten vorrangig Angebote in schulischer Verantwortung an. Diese Situation gilt es ebenfalls zu berücksichtigen, eine vorhandene Angebotsvielfalt muss den Familien transparent und nachvollziehbar präsentiert werden, damit Eltern eine informierte Entscheidung für oder gegen ein Angebot treffen können.
Es zeigt sich, dass der quantitative Ausbau von ganztägigen Betreuungsangeboten vorangetrieben werden muss. Es kann angenommen werden, dass der Bedarf an Plätzen mit Einführung des Rechtsanspruchs weiter zunehmen wird – genauso wie es beim Rechtsanspruch auf Betreuung ab dem 1. Lebensjahr passiert ist. Die Analysen des DJI machen weiter deutlich, dass bisweilen nicht alle Bedarfe von Familien mit dem aktuellen Angebot gedeckt werden können, sowohl was die generelle Verfügung von Plätzen angeht, als auch die zeitliche Dauer, also die tatsächliche Betreuungszeit. Viele Eltern haben zwar gegenwärtig einen Platz für ihr Kind in einem Betreuungsangebot, der Betreuungsumfang entspricht aber dennoch nicht dem tatsächlichen Bedarf der Familien.
Was muss beim Ausbau von ganztägigen Betreuungsangeboten für Grundschulkinder aus der Perspektive der Eltern berücksichtigt werden?
- Eltern wünschen sich das Beste für ihr Kind. Jedes Kind soll nach seinen individuellen Stärken und Schwächen gefördert und unterstützt werden. Das Kind soll im Mittelpunkt der schulischen und außerschulischen Aktivitäten stehen.
- Eltern wünschen sich, dass ihr Kind angemessene Angebote in der ganztägigen Betreuung erhält. Die Interessen der Kinder sollen aufgegriffen, die Lebenswelt der Kinder soll berücksichtigt werden. Kindern soll durch die Ganztagsbetreuung eine Vielfalt von Entwicklungspotenzialen zur Verfügung gestellt werden.
- Eltern wollen Flexibilität und Angebotsvielfalt – sie wollen entscheiden können, welche Angebote sie für ihr Kind wählen und in welchem zeitlichen Umfang sie diese nutzen.
- Eltern wünschen sich für die Betreuung ihrer Kinder ausreichend vorhandenes Personal, welches qualitativ hochwertig ausgebildet ist und gute Arbeitsbedingungen vorfindet. Professionalität ist ein wichtiges Element für gute Ganztagsangebote.
- Eltern sind in der Ausgestaltung der Ganztagsangebote als wichtiger Akteur einzubeziehen. Eltern möchten i.d.R. informiert und beteiligt werden, sich aktiv in die Bildungsaktivitäten der Kinder einbringen. Partizipation der Familien muss – je nach Form der Betreuung bzw. Setting – ermöglicht werden. Die Möglichkeit zur Beteiligung schafft zudem Vertrauen auf Seiten der Eltern, wenn sie sich als Akteur wahrgenommen fühlen. Vertrauensvolle Beziehungen sind weiter förderlich für gelingende Bildungsaktivitäten der Kinder.
Die Eltern müssen mit ihren ganz eigenen und höchst unterschiedlichen Perspektiven, Wünschen und Bedarfen bei der Ausgestaltung von ganztägigen Betreuungsangeboten einbezogen werden. Angebote der Ganztagsbetreuung sollen Familien unterstützen, die Vereinbarkeit mit dem Beruf ermöglichen und die Kinder gleichzeitig in ihrem Kompetenzerwerb begleiten - kein einfaches Unterfangen....aber im Sinne von Chancen- und Bildungsgerechtigkeit und Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein lohnenswertes.
Kontakt:
Dr. Judith Adamczyk
Referentin für Bildung und Erziehung / Kindertageseinrichtungen