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Von: Ragnar Hoenig
Laut Rentenversicherungsbericht 2020 wird es im nächsten Jahr bei den Renten in den alten Bundesländern voraussichtlich wieder eine Nullrunde geben - zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren. Zugleich rechnet die Bundesregierung damit, dass das Rentenniveau in den kommenden Jahren steigen wird. Wie passt das zusammen?
Rentenversicherungs- und Alterssicherungsbericht
Die Bundesregierung ist gesetzlich verpflichtet, einmal im Jahr einen Rentenversicherungsbericht zu erstellen. Dieser Bericht muss unter anderem Modellrechnungen (nicht Prognosen!) über die Einnahmen- und Ausgabenentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung in den kommenden 15 Jahren enthalten. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf auf der doppelten Haltelinie, die besagt, dass das Rentenniveau bis zum Jahr 2025 nicht unter 48 % netto vor Steuern fallen und der Beitragssatz bis zum gleichen Jahr nicht über 20 % steigen darf.
In Ergänzung des jährlichen Rentenversicherungsberichts muss die Bundesregierung einmal in der Legislaturperiode auch über die aktuellen Entwicklungen in den anderen Alterssicherungssystemen berichten. Dieser ergänzende Bericht wird Alterssicherungsbericht bezeichnet.
Zentrale Ergebnisse der beiden Berichte
Zentrale Ergebnisse des Rentenversicherungsberichts 2020 sind:
- Die Haltelinie beim Beitragssatz wird eingehalten: Bis zum Jahr 2025 wird der Beitragssatz die Halteline von 20 % nicht überschreiten. Er soll bis zum Jahr 2022 stabil bei 18,6 % bleiben und danach schrittweise auf 19,9 % im Jahr 2025 steigen.
- Die Haltelinie beim Rentenniveau wird eingehalten: Bis zum Jahr 2025 wird das Rentenniveau die Halteline von 48 % netto vor Steuern nicht unterschreiten. Vielmehr soll das Rentenniveau, das aktuell bei 48,2 % liegt, bis zum Jahr 2023 steigen und danach wieder sinken.
- Die langfristigen Vorgaben für Beitragssatz und Rentenniveau werden ebenfalls eingehalten: Bis zum Jahr 2030 wird der Beitragssatz nicht über 22 % steigen und das Rentenniveau nicht unter 43 % netto vor Steuern sinken.
- Rentenanpassung 2021: Da die Löhne in diesem Jahr Corona-bedingt sinken, soll es bei den Westrenten zum 1.7.2021 eine Nullrunde geben. Die Ostrenten sollen im Zuge der schrittweisen Angleichung der Rentenwerte um 0,7 % steigen. Für den 1.7.2022 rechnet die Bundesregierung wieder mit einem deutlichen Rentenanstieg in West und Ost.
Zentrale Ergebnisse des Alterssicherungsberichts 2020 sind:
- Fast 56 Mio. Menschen sind in der Rentenversicherung (aktiv oder passiv) versichert. Mehr als 21 Mio. Menschen beziehen eine gesetzliche Rente. In den alten Bundesländern erhalten rund 87% und in den neuen Bundesländern rund 97% der 65-Jährigen und Älteren eine gesetzliche Rente.
- In der Zeit von 2015 bis 2019 hat es bei den Renten reale Einkommenszuwächse gegeben: Während die Preise in diesem Zeitraum um 5,3 % gestiegen sind, liegt der Anstieg bei den Renten im gleichen Zeitraum bei 14 %.
- Rund 54% der Arbeitnehmer*innen verfügen über eine betriebliche Altersversorgung. 66% der Beschäftigten verfügen über eine zusätzliche Altersorge, entweder über eine BAV und/oder einen Riester-Vertrag.
Steigendes Rentenniveau trotz Nullrunde?
Das Rentenniveau ist eine statistische Messgröße. Es gibt das Verhältnis der Rente zum Einkommen wieder, genau genommen der Rente eines Durchschnittsverdieners mit 45 Beitragsjahren zum aktuellen Durchschnittsverdienst. Dabei werden jeweils die Nettowerte ohne Berücksichtigung der anfallenden Steuern betrachtet ("netto vor Steuern"). Dass dieser Verhältniswert trotz Nullrunde bei den Renten steigt, liegt im Wesentlichen daran, dass das maßgebliche Durchschnittseinkommen sinkt. Denn viele Arbeitnehmer*innen haben in diesem Jahr Corona-bedingte Einkommenseinbußen. Hinzu kommt, dass eine Revision in der Versichertenstatistik der Rentenversicherung. In die Berechnung des Durchschnittseinkommens fließen nunmehr auch rund 1. Mio. Altersrentner*innen ein, die rentenversicherungspflichtig beschäftigt sind, aber wenig verdienen. Hierdurch fällt der beitragspflichtige Durchschnittslohn um rund 2 % niedriger aus.
Die Ergebnisse aus Sicht der AWO
Ob es im kommenden Jahr bei den Westrenten tatsächlich eine Nullrunde gibt, steht voraussichtlich erst im März 2021 fest. Doch wenn die anpassungsrelevante Lohnentwicklung in diesem Jahr tatsächlich negativ ausfällt, dann wird dieses Minus auch bei den Rentenanpassungen in den Folgejahren nicht an die Rentner*innen weitergegeben. Der Grund dafür ist: Mit der doppelten Haltelinie hat der Gesetzgeber auch den so genannten Nachholfaktor ausgesetzt. Damit sollte Zeit gewonnen werden für eine eingehende Diskussion des künftigen Verhältnisses von Beitrag und Leistung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Bis dahin dürfen keine Fakten geschaffen werden! Deshalb ist die Forderung nach Wiedereinführung des Nachholfaktors abzulehnen. Der Alterssicherungsbericht zeigt einmal mehr, dass die gesetzliche Rentenversicherung die zentrale Säule der Alterssicherung in Deutschland ist. Dies darf bei der anstehenden Weiterentwicklung der Rentenversicherung nicht aus dem Blick geraten.
Rentenversicherungsbericht 2020 und Alterssicherungsbericht 2020
Rentenversicherungsbericht 2020
Alterssicherungsbericht 2020
Kontakt:
Dr. Ragnar Hoenig
Leiter Abteilung Arbeit/Soziales/Europa