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Von: Thomas Heser
Interview mit Claus Foerster, seit 2014 Asylverfahrensberater im Rahmen eines EU-geförderten Projekts - Träger des Projekts ist der AWO Kreisverband Berlin-Mitte.
Aufgabe eines Asylverfahrensberaters ist die Begleitung von Geflüchteten durch ihre Asylverfahren. Schwerpunkte Foersters waren die Beratung von Geflüchteten vom Westbalkan, aus Moldawien, Georgien, Tschetschenien, Afghanistan, aus dem Iran und den arabischen Ländern. Um die Beratung niederschwellig anbieten zu können, fand sie in Geflüchtetenunterkünften statt, während der Corona-Pandemie in einem AWO-Wohnheim in Berlin Zehlendorf, wobei das Beratungsangebot nicht nur den Bewohner*innen der Unterkunft galt, sondern allen Geflüchteten offenstand. Seit dem 1. Juli ist Foerster Betriebsratsvorsitzender der AWO Berlin-Mitte.
Wie hat für Sie die Corona-Pandemie die Situation in der Unterkunft und in der Beratung verändert?
Ursprünglich habe ich offene Sprechstunden durchgeführt, d. h. Ratsuchende konnten während der Sprechzeiten ohne vorherige Terminvereinbarung in die Beratung kommen. Auf diese Weise ist ein Angebot für Menschen besonders zugänglich, das bedeutete natürlich aber auch, dass sich im Wartebereich immer viele Menschen auf engem Raum aufhielten. Während der Pandemiezeit konnte ich an diesem Konzept der offenen Beratung nicht festhalten, sondern musste umschalten auf Beratung nach vorheriger Terminvereinbarung. Und in der Beratung musste ich auf die Einhaltung der Hygienemaßnahmen achten, was nicht gerade gemütlich ist. Wichtig war mir aber, das Beratungsangebot aufrecht zu erhalten, denn auch während der Pandemiezeit kamen und kommen Flüchtlinge nach Deutschland und durchlaufen hier ihr Asylverfahren.
Wie war der Zugang zu Informationen zu externen Beratungsdiensten und zum lokalen Unterstützungssystem?
Gleich zu Beginn der Pandemie bin ich dazu übergegangen, täglich im Internet zu recherchieren, wie Behörden, Gerichte und Beratungseinrichtungen erreichbar sind. Die Rechercheergebnisse habe ich in einem täglich aktualisierten „Newsletter“ an die Kolleg*innen weitergeleitet.
Zusammenfassend muss man sagen, dass insbesondere die Schließung oder Teilschließung von Behörden sehr belastend war. So hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Berlin Asylanträge nicht mehr regelgerecht aufgenommen, sondern Asylantragsteller*innen Formulare in die Hand gedrückt mit der Auflage, diese innerhalb einer Woche ausgefüllt und unterschrieben per Post zurückzuschicken. Auch wenn den Unterlagen Übersetzungen beigefügt waren, blieben sie den Asylantragsteller*innen dennoch unverständlich, benötigten Asylantragsteller*innen beim Ausfüllen Unterstützung. Also kamen zusätzliche Klient*innen in die Beratung. Leider wurde ich vom Bundesamt für die Mehrarbeit nicht entlohnt, sonst hättet Ihr wahrscheinlich heute einen Millionär vor Euch.
Belastend war und ist für Geflüchtete auch, dass es kaum Zugang zu Sprachkursen gab und gibt. Auch die Weiterverweisung an externe Beratungsangebote, beispielsweise zur Ausbildungs- und Berufsberatung, war schwierig.
Wie gelang Ihnen die Aufklärung über die Pandemie?
Geflüchtete waren und sind nicht uninformiert über die Corona-Pandemie, zumal diese ein weltweites Problem ist. Geflüchtete können sich durchaus eigenständig Informationen aus dem Internet holen. Dennoch gab und gibt es im Wohnheim mehrsprachige Aushänge. Außerdem habe ich viel mit Piktogrammen gearbeitet.
Das Risiko einer Infektion in einer Einrichtung ist um ein vielfaches höher. Wie sind Sie mit der Situation umgegangen? Welches Konzept hatte Ihre Einrichtung?
Man muss sich vor Augen halten, dass in einem Geflüchtetenwohnheim einer Person für Schlafen und Wohnen ein Raum von 7,5 Quadratmetern zur Verfügung steht und die meisten in Zweibett- oder Vierbettzimmern untergebracht sind. Die Gemeinschaftsküchen, Toiletten und Duschen werden von dreißig bis vierzig Personen genutzt. Schon in pandemiefreien Zeiten ist die Umsetzung von Hygienekonzepten eigentlich unmöglich. Wir haben versucht, der Pandemie zu begegnen, indem wir Aufenthaltsräume geschlossen haben. Abstandsregeln und Maskenpflicht wurden in allen Gemeinschaftsbereichen eingeführt, Flächendesinfektion wurde durchgeführt.
Zur Maskenpflicht ist anzumerken, dass diese anfänglich schwer umzusetzen war, da es schlicht keine Masken gab. Hätten nicht einige Bewohner*innen Masken für alle Bewohner*innen geschneidert, so wären wir ohne Mund- und Nasenschutz geblieben.
Wir Kolleg*innen haben seit Beginn der Pandemie Teamsitzungen natürlich nur virtuell gemacht. Außerdem haben wir ein A- und ein B-Team gebildet. Wenn das A-Team vor Ort war, war das B-Team im Homeoffice.
Gab es Kollektiv- und Kettenquarantänen? Und was waren deren Folgen?
Das Wohnheim stand eine Woche unter Quarantäne. In dieser Zeit durfte niemand das Wohnheim verlassen oder Besuche von außerhalb empfangen. Das war eine schwere Zeit für die Bewohner*innen. Ich konnte es dem einen Bewohner beispielsweise nicht verdenken, dass er zu seiner hochschwangeren Ehefrau wollte, die in einem anderen Wohnheim untergebracht war und kurz vor der Entbindung stand, aber ich musste ihm erklären, dass er die Unterkunft nicht verlassen dürfe.
Schwierig war in der ersten Zeit auch die Isolation von Infizierten innerhalb des Wohnheims. Erst als das Land Berlin ein Wohnheim eröffnete, in dem Infizierte in Quarantäne gehen konnten, entspannte sich die Situation ein wenig.
Haben Sie vor Ort ein Gewaltschutzkonzept und falls ja, wie erfolgreich setzen Sie dieses um?
Ja, und dieses Gewaltschutzkonzept gilt für alle Geflüchteteneinrichtungen der AWO Berlin-Mitte. Dabei geht es nicht um ein allgemeines Konfliktmanagement, sondern um den Umgang mit Fällen akuter Gewaltanwendung. Alle Mitarbeitenden sind verpflichtet, jedem Hinweis auf Gewalt unverzüglich und vorrangig nachzugehen. Gegebenenfalls ist der Wachschutz hinzuzuziehen oder die Polizei zu rufen. Neben diesem Gewaltschutzkonzept gibt es noch ein spezielles Kinderschutzkonzept.
Das Gewaltschutzkonzept wird von den Kolleg*innen sehr konsequent umgesetzt. Dabei muss man allerdings hinzufügen, dass Gewalt in Geflüchteteneinrichtungen keineswegs häufiger vorkommt als in der Gesellschaft allgemein. Auch in der schwierigen Pandemiezeit, mit all ihren Restriktionen in den Unterkünften, steigerte sich die Aggression nicht.
Ein Zugang zur Gesundheitsversorgung ist für Asylsuchende schwer. Wurde die Situation durch Corona verschärft?
In Berlin ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung für Geflüchtete grundsätzlich gut. In der Corona-Zeit wurden aber natürlich auch Operationen von Asylbewerber*innen verschoben.
Defizitär ist allerdings der Zugang zu psychotherapeutischen und psychiatrischen Angeboten. Sehr viele Geflüchtete sind traumatisiert, mitunter schwersttraumatisiert. Ich halte die Ausweitung von Hilfeangeboten in diesem Bereich für dringend geboten.
Gelang es Ihnen, Testungen und Impfungen in Ihrer Sammelunterkunft durchzuführen?
Leider wurden Testungen erst Ende letzten Jahres durchgeführt. Zu Impfungen in den Unterkünften kam es im zweiten Quartal dieses Jahres.
Erzählen Sie mir von Ihren Erfolgserlebnissen in dieser herausfordernden Zeit.
Eine schwierige Frage. Der Beratungsalltag lässt einem wenig Zeit, über Erfolgserlebnisse nachzudenken. In der Corona-Zeit gab es sicherlich viele kleine Erfolge: Wenn man nach unzähligen Anschreiben endlich eine positive Antwort von einer Behörde erhielt, war das immer ein kleiner Sieg.
Als ganz besonders großes Erfolgserlebnis, nein, als Ehre empfinde ich es immer, wenn Menschen dir vertrauen und den Mut aufbringen, dir ihre schreckliche Fluchtgeschichte zu erzählen. Das gab es auch in der Corona-Zeit.
Was stärkte Sie bei Ihrer Arbeit als Asylverfahrensberater?
Vor kurzem wurde ich zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt. Aufgrund dessen habe ich meine Tätigkeit als Asylverfahrensberater aufgegeben. Das ist mir nicht leichtgefallen, hat mein Leben durch die bisherige Tätigkeit doch auch viel Bereicherung erfahren. Eines war besonders schön: Durch die Vielzahl von Gesprächen mit Geflüchteten habe ich gelernt, mein Land auch einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten als meiner typisch deutschen Mäkelperspektive.
Die AWO begleitet die 12 Wochen bis zur Wahl unter dem Motto „Deutschland, Du kannst das!“ mit sozial- und gesellschaftspolitischen Forderungen an die kommende Bundesregierung. Dieser Beitrag gehört zur Themenwoche „Miteinander Füreinander“. Mehr dazu unter: awo.org/bundestagswahl-2021.