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Von: Ragnar Hoenig
Seit vielen Jahren wird kontrovers über ein bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert. Während die einen den Vorschlag als "radikal gerecht" ansehen (Straubhaar, Radikal Gerecht, Hamburg 2017), meinen andere, er gleiche eher einem "besinnungslosen Grundeinkommen" (Bäcker, Soziale Sicherheit 2017, S. 452, 459). Als Lösung in der Corona-Krise hat der Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens neuen Auftrieb erhalten.
Corona verschärft Verteilungsprobleme
Die Corona-Ausbrüche in der Fleischindustrie haben die Verteilungsprobleme in unserem Land schonungslos sichtbar gemacht. Niedriglohnbezieher*innen tragen oft ein höheres Ansteckungsrisiko, weil sie in beengten Verhältnissen leben, bei der Arbeit viel Kontakt zu anderen Menschen haben und sich nicht ins sichere Homeoffice zurückziehen können. Zudem verschärft die Corona-Krise prekäre Lebenslagen, etwa wenn arme oder von Armut bedrohte Menschen durch Jobverlust Einkommenseinbußen erleiden, oder wenn Kinder dem Homeschooling wegen der räumlichen Verhältnisse oder technischen Ausrüstung nicht richtig folgen können.
UN-Studie: Temporäres Grundeinkommen
In vielen anderen Ländern kommt ein weiteres Problem hinzu: Hier müssen arme Menschen selbst bei Ansteckungsverdacht arbeiten gehen, weil es keine sozialen Sicherungssysteme gibt, die Quarantäne-bedingte Einkommensverluste ausgleichen würden. Eine im Juli 2020 veröffentlichte Studie im Auftrag des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (United Nations Develpoment Programme – UNDP) schlägt daher ein temporäres Grundeinkommen vor. Ein solches „temporary basic income (TBI)“ müsse sich an Menschen richten, die am Rande des physischen Existenzminimums leben. Zugleich müsse es insoweit „bedingungslos“ sein, als von den Betroffenen keine besonderen Mitwirkungspflichten (z. B. Arbeitssuche) verlangt werden.
Petition zum Grundeinkommen im Bundestag
Auch wenn Deutschland über ein gut ausgebautes Sozialsystem verfügt, wird das bedinungslose Grundeinkommen hierzulande ebenfalls als Lösung in der Corona-Krise diskutiert. So prüft etwa der Deutsche Bundestag aktuell eine Petition, die sich für ein "kurzfristiges und zeitlich begrenztes bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland" ausspricht und die von mehr als 170.000 Mitzeichner*innen unterstützt wurde. Es sei Aufgabe der Regierung, so die die Begründung der Petition, schnell dafür zu sorgen, dass alle Bürger*innen weiterhin über ein existenzielles Einkommen verfügen - einfach und unbürokratisch, verlässlich und bedingungslos. Wer das Bedingungslose Grundeinkommen nicht in Anspruch nehmen möchte, könne das Geld zurückspenden.
Diskussionen in der AWO
Auch in der AWO wurde und wird lebhaft über das bedingungslose Grundeinkommen diskutiert. Dabei ist deutlich geworden, dass die Vorschläge sehr unterschiedlich sind und dass es deshalb nicht "das" bedingungslose Grundeinkommen gibt. Postiv an der Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen ist, dass wichtige Impulse im Nachdenken über die Leistungsfähigkeit, Zugänglichkeit und Legitimation unseres Sozialstaates gegeben werden. Gleichwohl können viele Sicherungslücken, die der Grundeinkommensdiskurs zutage fördert, auch durch gezielte Anpassungsmaßnahmen im bewährten System der sozialen Sicherung geschlossen werden. Dies gilt insbesondere für die Mindestsicherungssysteme, die so ausgestaltet und bemessen sein müssen, dass sie das menschenwürdige Existenzminimum einer jeden Person hierzulande stets in vollem Umfang und realitätsgerecht sicherstellt. Die Diskussionen in der AWO wurden in einem Argumentationspapier zusammengefasst, das unten zum Download zur Verfügung steht.
Downloads
Im Folgenden steht das Argumentationspapier der AWO zum bedingungslosen Grundeinkommen zum Download bereit. Darin finden Sie auch weiterführende Literatur zum bedingungslosen Grundeinkommen. Ebenfalls für Sie bereitgestellt haben wir den Link zu der UN-Studie über ein tremporäres Grundeinkommen. Näheres zum Sachstand der oben genannten Petition (Petition 108191) finden Sie auf den Internetseiten des Deutschen Bundestages.
Kontakt:
Dr. Ragnar Hoenig
Leiter Abteilung Arbeit/Soziales/Europa