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Von: Roman Fleißner
Im September 2015 verabschiedete die Weltgemeinschaft einen ambitionierten Zukunftsplan: Die Agenda 2030. Diese Strategie umfasst 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, die als Grundlage für politische Weichenstellungen bis zum Jahr 2030 gelten und der Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene dienen sollen. Diese Agenda löst die Millenium-Entwicklungsziele ab, die zwischen den Jahren 2000 und 2015 zur Verbesserung der Lebensumstände in den sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländer führen sollten. Der wichtigste Unterschied zwischen den Milleniums-Entwicklungszielen und der Agenda 2030 ist die Tatsache, dass nun in allen Ländern weltweit Entwicklungsbedarf festgestellt wird und die nachhaltigen Entwicklungsziele für alle Länder gleichermaßen gelten. Die Agenda 2030 deckt zentrale Politikbereiche ab, die für Deutschland von Bedeutung sind. Darunter fallen gerechte Arbeitsverhältnisse, Innovationen in Industrie und Infrastruktur, verantwortungsbewusste Produktions- und Konsumweisen, qualitativ hochwertige, zugängliche Bildung für alle und vor allem die Reduzierung von Armut und Ungleichheit.
Bedeutung
Die Bedeutung des ersten nachhaltigen Entwicklungsziels für Deutschland erschließt sich durch dessen besonderer Formulierung: „Armut in jeder Form und überall beenden“. Dadurch wird deutlich, dass Armut ein komplexes und globales Phänomen ist, das global abgeschafft werden muss. Es ist nicht länger ausreichend, absolute Armut – das Leben am Rand der Existenz – zu reduzieren, sondern auch relative Armut – fehlende Teilhabe und ausbleibende Perspektiven aufgrund wirtschaftlicher Benachteiligung – zu beseitigen. Zur Umsetzung der Agenda 2030 gilt es, unterschiedliche Armutsformen in Deutschland in das Zentrum von Zukunftsdebatten zu rücken und gesellschaftliche Lösungen zu erarbeiten, die Kinderarmut, Altersarmut und Armut trotz Arbeit beenden. Die Arbeiterwohlfahrt kann hier richtungsweisende Beiträge leisten. Dabei ist es auch wichtig, die globale Perspektive auf Armut nicht zu vernachlässigen und global solidarisch zu handeln. AWO International unterstützt zahlreiche Partnerorganisationen in Mittelamerika und Asien dabei, Armut zu reduzieren und lokale Lebensverhältnisse zu verbessern. Doch eine Intensivierung der Entwicklungszusammenarbeit, ein erhöhtes Spendenaufkommen oder verstärkte humanitäre Hilfe allein sind nicht genug, um nachhaltige Veränderungen zu erreichen. Die Gesellschaften, die als Globalisierungsgewinner einen hohen Lebensstandard genießen, müssen damit rechnen, dass ihr Ressourcenkonsum langfristig nicht mit planetaren Grenzen vereinbar ist und dass es zur Bekämpfung von Armut nicht zielführend ist, soziale und ökologische Produktionsrisiken weiterhin an andere Orte weltweit auszulagern. Wenn man Armut wirklich abschaffen will, dann bedarf es einer Neugestaltung der weltweiten Handels- und Produktionsbeziehungen, die für faire Bedingungen sorgen.
Politische Vorgaben sind notwendig
Bereits in der Umsetzung der Milleniums-Entwicklungsziele wurde deutlich, dass freiwillige Verpflichtungen von Staaten, internationalen Organisationen und Akteuren in Wirtschaft und Handel allein nicht ausreichen, um diese Ziele verbindlich zu erreichen. Konkrete, verbindliche und messbare politische Vorhaben sind notwendig, um nachhaltige Veränderungen zu erreichen. Es ist auch die Aufgabe der Zivilgesellschaft, diese Prozesse kritisch zu begleiten.
Der am 5. September 2017 veröffentliche Schattenbericht „Großbaustelle Nachhaltigkeit: Deutschland und die globale Nachhaltigkeitsagenda“ macht deutlich, dass hierzulande noch viel zu tun ist, wenn die Ziele wirklich bis zum Jahr 2030 erreicht werden sollen. Ragnar Hoenig (AWO Bundesverband) und Luise Steinwachs (Brot für die Welt) fordern in ihrem gemeinsamen Beitrag über die Bedeutung der UN-Nachhaltigkeitsagenda für die Bekämpfung von Altersarmut, dass „angesichts der Entwicklungen in der Arbeitswelt mit überwiegend informellen Arbeitsverhältnissen in Ländern des globalen Südens und unsicheren und unterbrochenen Berufsbiographien in den Industrieländern erwerbsunabhängige Alterssicherungssysteme aufgebaut werden“ müssen. Darüber hinaus fordert Ingrid Lebherz (AWO International) als Vorstandsmitglied des Verbands Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO), dass die internationale Politik Deutschlands sich konsequenter an den Menschenrechten und an verbindlichen Vereinbarungen wie der Agenda 2030 und dem Pariser Klimaabkommen orientieren muss. Die durch die Bundesregierung festgelegten Kriterien und Indikatoren, um Erfolge in der Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsagenda zu messen, sind nicht ambitioniert genug. Es ist nicht ausreichend, die deutsche Armutsquote „deutlich“ unter dem Durchschnittswert aller 28 EU-Staaten zu halten, weil dies bereits heute der Fall ist. Zielführender wäre es, bis 2030 eine Halbierung der Kinderarmuts- und Altersarmutsquote anzustreben und die Zahl der sogenannten Aufstocker*innen, die nicht vom erwirtschafteten Erwerbslohn leben können und Sozialleistungen beziehen müssen, ebenfalls zu halbieren.
Weitere Informationen
Um bis zum Jahr 2030 die Armut in Deutschland abzuschaffen, wie es das nachhaltige Entwicklungsziel 1 einfordert, sind somit klare politische Ziele notwendig, die parteiübergreifender Konsens sind und nicht zum Ziel von eventuellen Regierungswechseln im Jahr 2017, 2021 und 2025 werden. Die nachhaltigen Entwicklungsziele können nur gemeinsam verwirklicht werden und es ist nicht ausreichend, sich in der Umsetzung auf einige zu konzentrieren. So ist zum Beispiel eine Reduzierung von Ungleichheiten nicht möglich, wenn nicht auch Armutsverhältnisse reduziert werden. Darüber hinaus müssen auch Akteure in der Wirtschaft in die Pflicht genommen werden, um armutsfördernde Praktiken und wachsende Ungleichheiten zwischen Arbeitnehmer*innen zu verhindern. Nicht zuletzt ist die Zivilgesellschaft dazu aufgefordert, diese Prozesse kritisch zu begleiten und laut darauf aufmerksam zu machen, wenn die Erreichung der Ziele und einer nachhaltigen Zukunft für alle gefährdet sind.