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Welchen Beitrag eine Rahmenrichtlinie mit Grundsätzen für eine soziale Mindestsicherung zur sozialen Aufwärtskonvergenz in der EU leisten kann.
In der Europäischen Union (EU) waren 2020 mehr als ein Fünftel der EU-Bürger*innen von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie, der Klimakrise und des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verschärfen die Situation gerade für die am stärksten benachteiligten Personen in der EU und stellen die Mindestsicherungssysteme in den EU-Mitgliedstaaten auf eine große Bewährungsprobe.
Alle Mitgliedstaaten haben soziale Mindestsicherungsinstrumente, diese unterscheiden sich jedoch im Leistungsniveau, in den Zugangsbedingungen und der tatsächlichen Inanspruchnahme sowie in Hinblick auf aktivierende und befähigende Aspekte, teils stark voneinander.
Auf EU-Ebene gibt es eine Reihe von Rechtsakten, Maßnahmen und Instrumenten zur Bekämpfung von Armut und zur Absicherung der Menschen in existenziellen Notlagen. Diese besitzen jedoch keine Rechtsverbindlichkeit, weshalb ihre Auswirkungen auf die Verbesserung der Mindestsicherung in der EU sehr begrenzt geblieben sind und bisher auch keine substanziellen Fortschritte bei der Bekämpfung von Armut vorgewiesen werden können.
Vor diesem Hintergrund setzt sich die AWO für die EU-weite Einführung einer Rahmenrichtlinie mit Grundsätzen für die soziale Mindestsicherung ein. Nur wenn jeder Mitgliedstaat verpflichtet wird, ein armutsfestes, aktivierendes und befähigendes sowie zugängliches Mindestsicherungssystem zu schaffen, können Armut und soziale Ausgrenzung in der EU wirksam bekämpft werden. Dies würde auch zur Umsetzung der Ziele der Europäischen Säule Sozialer Rechte und zur Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele beitragen.
Wesentliche Regelungsgegenstände einer EU-Rahmenrichtlinie mit Grundsätzen für die soziale Mindestsicherung sind nach Auffassung der AWO Folgende:
- Mindestsicherungssysteme müssen eine armutsfeste Höhe von Mindestsicherungsleistungen und einen diskriminierungsfreien und universellen Zugang sicherstellen. Die Höhe der Mindestsicherungsleistungen sollte die europäisch definierte Armutsrisikoschwelle nicht unterschreiten.
- Mindestsicherungssysteme müssen mit aktivierenden Arbeitsmarktmaßnahmen für erwerbsfähige Personen und sozialen Dienstleistungen verknüpft werden, damit die Empfänger*innen bei der (Wieder-)Eingliederung in den Arbeitsmarkt unterstützt und dazu befähigt werden, in vollem Umfang an der Gesellschaft teilzuhaben. Die Arbeitsmarktmaßnahmen und sozialen Dienste sollten sich an den individuellen Bedarfen der Empfänger*innen orientieren.
- Eine armutsfeste Höhe der Mindestsicherung darf nicht durch unverhältnismäßige Sanktionen unterlaufen werden und somit existenzbedrohende Lebenslagen erzeugen. Die Ermutigung und soziale Beteiligung der Betroffenen sollte ein wesentlicher Maßstab armutsfester Leistungen sein.
- Bei der Entwicklung, Weiterentwicklung und Implementierung von Systemen der Mindestsicherung sollten die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet werden, die Zivilgesellschaft, Sozialpartner und Menschen mit Armutserfahrung miteinzubeziehen.
- Untermauert werden sollte die Rahmenrichtlinie mit regelmäßigen Berichterstattungen durch die Mitgliedstaaten, welche einen Informations- und Erfahrungsaustausch untereinander ermöglichen und die Fortschritte bei der Umsetzung messen.
- Es muss sichergestellt werden, dass eine europäische Richtlinie nicht zu Standardverschlechterungen in den Mitgliedstaaten führt. Mit einer Fortschrittsklausel würde den Mitgliedstaaten ausdrücklich empfohlen werden, Standards über die Grundsätze hinaus zu setzen.
- Um die Mitgliedstaaten bei der Implementierung und Weiterentwicklung von Mindestsicherungssystemen zu unterstützen, ist die Anpassung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes durch die Einführung einer „Goldenen Regel“ sinnvoll, die es den Mitgliedstaaten erlauben würde, bestimmte Arten der öffentlichen Investitionen von der Berechnung ihres öffentlichen Defizits abzuziehen. Langfristig sollte die EU die Konvergenz bei der Fortentwicklung von sozialen Mindestsicherungssystemen fördern.
Das AWO-Positionspapier zum Download
Kontakt:
AWO Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V.