Seite drucken
Von: Lothar Andrée
Der AWO Bundesverband e.V. führt bis Ende 2020 ein neues und bundesweites Modellprojekt zur Öffnung der Altenhilfeeinrichtungen der AWO für die Zielgruppe LSBTI durch.
In Deutschland leben schätzungsweise rund 1 Millionen über 65-Jährige, die sich als Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI) identifizieren. So vielfältig und unterschiedlich diese Menschen und ihre Lebensgeschichten auch sind, was viele von ihnen verbindet, ist die gemeinsame Erfahrung von Ablehnung, Ausgrenzung, Diskriminierung, Denunziation und teilweise auch von Gewalt und Strafverfolgung aufgrund ihrer sexuellen Lebensweisen und/oder geschlechtlichen Identitäten.
So stellte der noch aus der Kaiserzeit stammende und 1935 verschärfte § 175 des deutschen Strafgesetzbuches (auch Schwulenparagraph genannt) in der BRD bis 1969 und in der DDR bis 1957 sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe und wurde erst 1994 ersatzlos gestrichen. Allein in der BRD wurden zwischen 1950 und 1969 mehr als 100.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet mit ca. 50.000 rechtskräftigen Verurteilungen, die erst 2017 nach einem Bundestagsbeschluss aufgehoben wurden, verbunden mit einem Rechtsanspruch auf Entschädigung.
Im Alter sind LSBTI aus dieser Generation aufgrund geringerer familiärer Unterstützung bzw. höherer Kinderlosigkeit stärker auf professionelle Einrichtungen der Altenhilfe angewiesen. Gleichzeitig ziehen sie sich nach allgemeiner Einschätzung aus Wissenschaft und Praxis z.B. in Pflegeheimen zunehmend zurück oder bleiben gar als LSBTI unsichtbar, da die eigene Identität aus Angst vor erneuter Zurückweisung nicht selten verborgen gehalten wird. Eine am Subjekt und dessen Biografie ausgerichtete Langzeitpflege und Betreuung ist in diesem Fall kaum möglich.
Seit einigen Jahren gibt es auf Initiative queerer Verbände und Institutionen vorwiegend in Metropolregionen vereinzelte spezifische Angebote für pflegebedürftige LSBTI, die einen ersten und wichtigen Schritt darstellen. Eine flächendeckende und Wohnort nahe Öffnung bestehender Altenhilfeeinrichtungen für LSBTI-Personen fehlte jedoch bisher.
An dieser Stelle setzt die AWO an, mit dem Ziel, in ihren Altenhilfeeinrichtungen ein diskriminierungsfreies Umfeld für LSBTI-Personen zu schaffen, welches von Toleranz, Akzeptanz und Respekt gegenüber den jeweiligen sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten und den damit verbundenen Lebensformen und -weisen geprägt ist.
Die AWO hat das Ziel, ihre Einrichtungen und Angebote vielfaltssensibel, inklusiv und offen für Alle zu gestalten. Dieses Projekt ist ein weiterer Baustein auf dem Weg zu diesem Ziel. Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet und evaluiert und die Ergebnisse und Konzeptionen abschließend in Form eines Handbuchs auch anderen Wohlfahrtsverbänden zur Verfügung gestellt.
Im Rahmen des Modell-Projekts wird unter Einbeziehung queerer Senior*innen-Verbände eine Musterkonzeption zur Öffnung der Altenhilfeeinrichtungen für die Zielgruppe LSBTI entwickelt und zunächst an fünf bundesweiten Pflegestandorten der AWO modellhaft umgesetzt. Durch Fortbildungen, Coachings und Praxisbegleitungen soll das Einrichtungs- und Pflegepersonal für LSBTI und deren Belange sensibilisiert, ein offenes Betreuungsklima geschaffen und eine kultursensible Pflege ermöglicht werden.
Ansprechpartner
Für Fragen zum Projekt wenden Sie sich bitte an Lothar Andrée: lothar.andree@awo.org
Weitere Informationen
Lebenslagen, Partizipation und gesundheitlich-/pflegerische Versorgung älterer Lesben und Schwuler in Deutschland. Expertise zum Siebten Altenbericht der Bundesregierung, von Heiko Gerlach und Markus Schupp.
© BMFSFJ